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Der Traum meines Großvaters

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Als mein Großvater Ding Shuiyang aus der Stadt zurückkam, lag die Abenddämmerung schon über der Ebene. Die Straße nach Dingzhuang war vor zehn Jahren betoniert worden – damals, als die Dorfbewohner Blut verkauft hatten. Das Dunkel der Gedanken, die er unterwegs nicht hatte entwirren können, begann sich zu lichten.

Ihm war klar: wo Wolken sind, da gibt es Regen.
Ihm war klar: wenn der Herbst zu Ende geht, wird es kalt.
Ihm war klar: die Dorfbewohner, die vor zehn Jahren Blut verkauft hatten, würden das Fieber kriegen. Und wer das Fieber hatte, würde sterben, so wie der Herbstwind die welken Blätter von den Bäumen fegt.

Das Fieber war im Blut verborgen; mein Großvater war in seinen Träumen verborgen. Die Krankheit liebte das Blut, Großvater liebte das Träumen.

Seit er in der Kreisstadt war, wusste er:

Das Fieber hatte in Wirklichkeit einen anderen, einen wissenschaftlichen Namen – nämlich AIDS. Wer seinerzeit Blut verkauft hatte, war heute ausnahmslos an AIDS erkrankt. Die Kraft verließ sie, ihr Körper war von Pusteln und Flecken übersät, die Zunge war eiterig und allmählich trockneten die Kranken aus. Sie quälten sich drei Monate oder ein halbes Jahr, hielten vielleicht sogar acht Monate durch, aber nur selten ein ganzes Jahr. Dann – ja, dann starben sie.

Starben wie vom Wind losgerissene Blätter.
Erloschen wie eine Lampe; waren nicht mehr von dieser Welt.

Überall auf den Feldern sah man die Gräber, dicht gedrängt wie Garben reifen Korns.

Dies alles war aber erst der Anfang, im nächsten oder übernächsten Jahr würde die Krankheit mit ganzer Heftigkeit ausbrechen. Dann wäre ein Sterbender nicht mehr als ein toter Sperling oder ein toter Nachtfalter oder eine tote Ameise, während man ihm heute noch die gleiche Aufmerksamkeit widmete wie etwa einem Hund.

Ich, den man hinter meines Großvaters Haus in einem kleinen weißen Holzsarg begraben hatte, war zum Zeitpunkt meines Todes gerade zwölf Jahre alt und hatte soeben die fünfte Klasse beendet. Ich starb, nachdem ich eine Tomate gegessen hatte.


Der Roman Ding zhuang meng ist in China verboten, da er „der Ehre des Landes abträglich“ sei. Als Rahmenhandlung dient die Geschichte eines Dorfes, das durch den Bluthandel, der zur Beschaffung von Blut für Transfusionen diente, wohlhabend wurde. Und nun stirbt.

Dieser Auszug ist aus kurzen Passagen/einzelnen Zeilen der ersten vier Seiten konstruiert und verrät die Handlung nicht. Aber ohne viel zu verraten: Särge spielen in der folgenden Geschichte über Gier, Korruption und Tod eine wichtige Rolle.

Durch den Bluthandel infizierten sich in China Zehntausende mit HIV, erkrankten und starben an AIDS. Die chinesische Regierung hat über die damaligen Vorgänge den Mantel der Zensur gebreitet.

Anlässlich des Todes von Barbara Seebald vielleicht etwas zum Nachdenken. Menschen, die an eine AIDS-Verschwörung glauben, an Vertuschung und ähnliches, finden vielleicht hier eine Geschichte, die in diese Gedankenwelt einzudringen vermag.

imageLianke Yan: Der Traum meines Großvaters. Originaltitel: Ding zhuang meng


Weiterführende Links


Stoppt Tierversuchsgegner!

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Im Deutschen Ärzteblatt ist kürzlich eine knappe Pro-Kontra-Diskussion über Tierversuche erschienen. Die „Kontra“-Position wird von Frau Dr. med. Eva Kristina Bee, Vorstandsmitglied von Ärzte gegen Tierversuche e.V. (die bei uns schon früher auch Thema im Blog gewesen sind), vertreten.

Tierversuche riefen nur „gewisse Symptome“ hervor, die nichts mit menschlichen Erkrankungen gemein hätten. Allen Ernstes behauptet Frau Dr. Bee, dass medizinische Tierversuche „maßgeblich verantwortlich“ dafür seien, dass es bei „der Bekämpfung der heutigen Massenkrankheiten wie Krebs, Herz- und Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und rheumatologischen Erkrankungen keinen Durchbruch“ gebe. Auch „die Initiatoren der europäischen Bürgerinitiative ‚Stop Vivisection‘“ – „allesamt selbst Experten“ – seien dieser Ansicht. Begründet wird das mit dem Umstand, dass die Aussagen von Tierversuchen unzuverlässig seien und dennoch auf den Menschen übertragen würden – kein Wunder also (so wird suggeriert), dass allein in Deutschland jährlich 60.000 Todesfälle durch Medikamente zu beklagen seien. „92 Prozent“ der im Tierversuch erfolgreichen Medikamente versagten am Patienten. „Grundlegende artspezifische Unterschiede“ würden nicht beachtet. „[G]roß angelegte epidemiologische Studien“ hätten gezeigt, dass Krankheiten „vor allem durch Faktoren wie Rauchen, Alkoholmissbrauch, fleisch- und fettreiche Ernährung, Stress und mangelnde Bewegung bedingt“ seien. Menschen würden „vielfach Therapien vorenthalten, da potenziell nützliche Arzneimittel nicht durch die präklinische Phase“ kämen, Tiere dagegen „zu Messinstrumenten degradiert“, und „auf Biochips“ könnten angeblich „wie in einem künstlichen Mini-Menschen Auswirkungen auf bestimmte Organe erforscht“ werden.

Ein Gruselkabinett. Jeder Satz eine Groteske; man traut seinen Augen nicht. In Tierversuchen werden nicht „Symptome“, sondern Aspekte der Pathogenese modelliert. Welches Ausmaß die ideologische Verblendung bei den Tierversuchsgegnern bereits erreicht hat, ist an der These erkennbar, dass medizinischer Fortschritt durch Tierversuche behindert werde. Was stellt sich Frau Bee eigentlich unter „Durchbruch“ vor – die Abschaffung der genannten Krankheiten? Auch Experten können abgehobenen Nonsens schwafeln, wie uns Professor Montagnier vorgeführt hat. Tiermodelle sind selbstverständlich keine perfekten Prädiktoren für menschliche Erkrankungen, aber sie sind global gut brauchbar. Für Tierversuche als Instrument der Forschung gilt sinngemäß, was Churchill über die Demokratie gesagt hat: eine verdammt schlechte Regierungsform, ausgenommen alle anderen. Die „60.000 Todesfälle“ sind auf raffiniert schlichte Weise ermittelt worden (Prozentsatz der Todesfälle in einer einzelnen internistischen Abteilung in den USA in Norwegen mal Gesamtzahl der Krankenhausaufnahmen in Deutschland). Selbst wenn die Zahl stimmte, wären diese Fälle mindestens zur einen Hälfte unvermeidbar, zur anderen schwer vermeidbar; und sie hat mit Sinn oder Unsinn von Tierversuchen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wenn 92% der potentiellen Medikamente am Menschen versagen, sollen dann diejenigen Substanzen, die schon im Tierversuch an ihrer Giftigkeit oder Wirkungslosigkeit scheitern, auch noch am Menschen ausprobiert werden? Hieße das nicht, den Menschen zum Messinstrument zu degradieren? Von den „artspezifischen Unterschieden“ sollte sie mal das Great-Ape-Project informieren; die scheinen da nicht überzeugt zu sein. Alle bekannten Risikofaktoren für die sog. „Zivilisationskrankheiten“ erklären weitaus weniger als die Hälfte der Varianz: mit wenigen Ausnahmen sind diese Erkrankungen Schicksal und nicht Folge einer ungesunden – d.h. hier: unmoralischen – Lebensweise. Bei der Brauchbarkeit der „Biochips“ hat sie sich im Jahrhundert vertan: das ist eine transhumanistische Utopie.

Was für inkohärenter Unsinn. Zum Fremdschämen. Und man lese auch noch den Pro-Beitrag.

Bad Gögging: Wie man esoterischen Quark und Plastikschamanen als Trommelevent tarnt

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Trommelevent
Angekündigt wird die auf den 27./28. Juni 2015 terminierte Veranstaltung als großes „Trommelevent mit Künstler- und Handwerkermarkt in Bad Gögging“ . Hinter der harmlos daherkommenden Bezeichnung verbirgt sich allerdings ein Wochenende, das prallvoll mit esoterischer Schwurbelei, allen möglichen Heilern und vielen Plastikschamanen auf Kundenfang geht. Auf der Facebook-Seite heißt es, das Event stehe „ganz im Zeichen von Mensch, Gesundheit, Ökologie, Spiritualität und Freude“, „[w]as als kleine Idee des Veranstalters Norbert Grüner aus Kelheim und einigen Gleichgesinnten begann, mobilisiert nun Schamanen, Trommler und Heiler aus ganz Europa“. Es wird nichts ausgelassen: „… gemeinsam zum Herzschlag der Erde für die Heilung der Mutter Erde trommeln. Damit soll ein Zeichen gesetzt werden …“ und natürlich: „Für alle, die neue Wege gehen wollen, sich über die Möglichkeiten der Heilungsmethoden aus der Natur erkundigen möchten oder einfach nur zum spirituellen Gedankenaustausch mit anderen treffen wollen …“. Für das breite Publikum gibt es ebenfalls noch Line-Dance (seeehr spirituell und indigen) und einen „Chuck Berry vom Schlachthofviertel“.

ruben_ortiz

Ruben Ortiz

Die Mittelbayerische hat treffsicher den „Schirmherrn“ des Events aufs Korn genommen – es handelt sich um den in Europa als Schamanen und vorgeblichen Indianer auftretenden Ruben Ortiz, Künstlername J. Reuben Silverbird . Ortiz alias Silverbird weiß so wenig von indigenen Kulturen, dass ihm entgangen ist, dass es bei den indigenen Völkern Amerikas keine Schamanen gibt. Er wird auch nicht glaubwürdiger, wenn er als angeblicher Apache, oder Navaho, oder Navaho-Cherokee, oder Apache-Cherokee in Bekleidung auftritt, die an die der Plainskulturen angelehnt ist. Die von ihm gerne getragene Adlerfederhaube ist leider bei Apache, Navaho sowie Cherokee völlig unbekannt. Es ist davon auszugehen, dass er sich im „Schamanisieren“ ebenso wenig auskennt, aber zum Ausgleich dafür lässt er sich von der Vereinigungskirche, also den Moonies, und in den letzten Jahren auch von Falun Gong hofieren, Reisen bezahlen sowie Geburtstagsfeten ausrichten. Bei den Moonies hat er den Titel „Peace Ambassador“ eingeheimst, den diese sehr wahllos verteilen, und setzt gerne darauf, dass Veranstalter und Publikum dies irrütmlich als von der UNO vergebenen Titel missverstehen und ihn entsprechend ankündigen. Für die Moonies und ihre Tarnorganisationen tritt er bis heute auf, wie z.B. bei einer Tagung der Universal Peace Foundation im Januar 2015.

Die Facebook-Seite von Ortiz/Silverbird weist ihn zusätzlich als Unternehmer aus:

 „Silverbird Spiritual Solutions
through Clairvoyant, Psychic, Healing Music & Native Wisdom“

Es hat ihm offenbar auch noch niemand gesteckt, dass er als angeblicher Hellseher und Medium auch lange nicht mehr im Bereich indigener amerikanischer Spiritualität unterwegs ist – aber sollte er das als Hellseher nicht eigentlich sehen können? Fragen über Fragen …

Auf der Facebook-Seite des Trommelevents wird Ortiz/Silverbird übrigens so grottenfalsch wie werbewirksam als „[d]er führende Lehrer der Native-American-Spiritualität“ herausgeputzt. Dabei ist der Herr nichts weiter als ein schlecht imitierter Indianer-Darsteller, der von indigener Spiritualität weniger weiß als der Elefant vom Stepptanz. Dieselbe Beschreibung gibt es ebenfalls auf dem Portal Worldangels, in das sich Esoteriker aller Couleur eintragen dürfen, die irgendwelche Dienst zu verkaufen haben. Hier wird für Silverbird eine Kontaktadresse in München angegeben; er steht für Workshops zu folgenden Themen zur Verfügung: „Native American – geistige Lehren, geheiligtes Trommeln und Tanzen Frühlings- TagundNachtgleiche- Schwitzhütten-Zeremonie“. Ferner heißt es:

Außerdem bietet J.R. Silverbird Programme für Schulen an, bei denen er über Traditionen der Native American informiert und den jungen Menschen seine Botschaft des Friedens übermittelt.

Es wäre wünschenswert, wenn solche Auftritte gar nicht zustandekämen. Dass Ortiz/Silverbird erwachsene Personen mit billigem Fantasie-Hokuspokus über den Tisch zieht – die sind für sich selbst verantwortlich. Aber Kindern und Jugendlichen diesen Schwurbelkram als echt verkaufen: da hört es auf. Vor allem, da er wohl – siehe die erwähnte „Botschaft des Friedens“ – auch noch Moonie-Propaganda einfließen lässt.

norbert_gruener

Norbert Grüner

Veranstalter des Events ist ein Norbert Grüner aus Kelheim, der mit zwei Partnern unter dem Namen „Lebensfreu(n)de – Messe und Events“ eine Firma betreibt, deren Seite in der URL allerdings auf ein „Lichtstudio Elina“ läuft. Die Lebensfreunde veranstalten vom 26.-28. Juni 2015 außerdem die „Naturheiltage Labertal“, zu deren Themen z.B. Alternative Heilmethoden oder Aktivierung der Selbstheilungskräfte gehören. Die Ausstellerliste präsentiert den gesamten esoterischen Gemischtwarenladen: Kirlian-Bioenergiefeldmessung, Coaching, Heilströmen, Magnetschmuck, Plastikschamanen, Tierkommunikation, Energetisches Heilen, Heilpraktiker, Geistheiler, Rückführungen etc. Andererseits ist Herr Grüner wie Ortiz/Silverbird auch auf dem Portal Worldangels mit einem Profil vertreten.

Grüner ist ebenfalls als Ansprechpartner für eine Firma „Cyberschamane in Kelheim“ genannt, die ihren Kunden zusagt:

Cyberschamane, Werbung & Beratung, Computerhilfe Kelheim. Flyer, Visitenkarten und Anzeigenerstellung.
Websites die auch gefunden werden. SEO – Suchmaschinen Optimierung. Pagrank & Alexa Rank Optimierung.

Wer den Link anklickt, landet jedoch auf der Seite der Plastikschamanin Viola Flambé aus Kelheim, deren Namen sich die Leser am besten schon mal merken.

Die Programmplanung bietet den Lesern auch einiges vom Esoterikmarkt:

Renato Straßmann

Renato Straßmann

Stefanie Steinhausen referiert über Kundalini-Yoga, ein Renato Strassmann informiert das Publikum über „Urpflanzen“, eine Dr. med. univ. Silvie Helene Reither über „Hypnoakupunktur“, Bärbel Rey referiert über Astrologie und – es ist ja „international“ – Jaya Peters informiert über das Didgeridoo, wobei es vermutlich das Geheimnis der Referentin und der Veranstalter bleibt, wie ein australisches Instrument da hineinkommt und was dieses mit „Heilung“ zu tun haben soll. Petra Ostermeier erzählt etwas von Kräutern, Shania Sharantron allerdings belämmert das Publikum mit dem „Lichtkörperprozess“ und ein Rolf Schaub doziert über „Russische Mediale Heiltechnik Freisprechnung von allen Belastungen“.

Silvia Reither

Silvia Reither

Dies nur als kleinen und unvollständigen Ausblick auf das Angebot.

Nun noch ein paar ganz besondere Schmankerln des Gögginger Events:

viola_flambe

Viola Flambé

Da ist zum einen Viola Flambé, die sich auch „Die weiße Büffelfrau“ sowie Schamanin nennt. Ja genau, das war die Dame, zu deren Schamanenwebseite ein Link eines angeblichen PC-Service geht, für den der Gögging-Veranstalter Norbert Grüner als Ansprechpartner auftritt. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass die Geschäftsanschrift von Flambés Schamanenbusiness in Kelheim just dieselbe ist wie die von Grüners „Lebensfreu(n)de“-Eventladen. Die Zusammenarbeit zwischen Flambé und Grüner scheint insgesamt bestens zu florieren, denn Flambé wirbt auf ihrer Seite außerdem noch mit Reisen auf dem „Schamanenboot“ in Holland, die ebenfalls zufällig von Herrn Grüner veranstaltet werden. Daneben verkauft Flambé noch Schwitzhütten, Visionssuchen und Medizinräder; allerdings sind Medizinräder im Großen und Ganzen die Erfindung des Plastikschamanen Vincent LaDuke alias Sun Bear.

Überhaupt ist Flambé ganz groß im Zusammenarbeiten. Sie ist augenscheinlich nur nicht die hellste Lampe im Saale, so dass sie bei der Wahl ihrer Kooperationspartner schon ein paar Mal daneben gegriffen hat, was allerdings inzwischen auf ihrer Webseite dem schamanen- pardon: schamhaften Löschen anheimfiel. Im Jahre 2010 kooperierte sie kurzzeitig mit einem Herrn Giovanni de Carlo alias Tdom Bah Toden Xkee, der als Kiowa-Imitat die europäische Powwow-Tanzszene und ein paar Museen über den Löffel balbierte. Außerdem preist sie den angeblichen Inuit-“Schamanen“ Jens Lyberth alias Angaangaq und ferner wird, oh Wunder, auf ihrer Webseite der oben bereits erwähnte „Schirmherr“ Ortiz/Silverbird wärmstens empfohlen, mit dem sie offenbar aktuell ebenfalls kooperiert. So langsam erhalten wir jetzt doch eine Ahnung, wie das bei den Plastikschamanen mit dem Spruch „Wir sind alle verwandt“ gemeint sein könnte.

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William A. Burchett

Ein weiterer einst gepriesener Schamanenkollege von Flambé war William A. Burchett alias William A. Jervis alias Firewalker alias Turtle Winds alias Medicine Turtle. Der rothaarige und mit Alabasterteint ausgerüstete Jervis mag sich in Europa als Cherokee sowie obendrein als Medizinmann ausgeben. Allerdings verkauft er keine Cherokee-Zeremonien, sondern Schwitzhütten und Visionssuchen, die Zeremonien der Lakota sind, die es bei den Cherokee nicht gab und auch heute nicht gibt. Die von ihm als Cherokee-Zeremonien angekündigten Unternehmungen sind allerdings den Cherokee ebenso unbekannt. Die abgesessenen ca. 13 Jahre Knast wegen bewaffneten Raubüberfalls deklariert er mittlerweile um als „Lehrzeit“ bei diversen „Schamanen“. Seit ca. drei Jahren hat er sich aus Deutschland ziemlich zurückgezogen und seift statt dessen Österreicher mit Erzählungen ein, er habe bis zu seinem 18. Lebensjahr in Höhlen gewohnt. (Wir wollen ihm nicht vehement widersprechen, er ist halt ein typischer US-Redneck aus dem Süden und posiert ja auch gerne mit der Konföderiertenflagge, da ist einiges möglich. Aber er sollte sich verkneifen, das als Lebensweise der Cherokee darzustellen!)

Interessanter Weise wird auch Jervis in seiner jetzigen Inkarnation als „Medicine Turtle“ am Trommelevent teilnehmen. Es nimmt aber doch etwas Wunder, dass die Veranstalter einen so (ähem!) renommierten Mann im Programm schamhaft verschweigen – nur auf der Facebook-Seite wird er erwähnt! Leider hat es nichts gebracht, Psiram hat es gesehen und nun wird doch der Bogen zwischen dem Ex-Knacki William A. Burchett zu William A. Jervis und seinen Aliassen publik. Dem Publikum möchten wir noch als Warnung zukommen lassen, dass Mr. Burchett oder Jervis (er hatte im Knast bereits eine offizielle Namensänderung beantragt, die seinerzeit abgelehnt wurde und es ist unklar, ob er den Namen „Jervis“ überhaupt legal trägt) zwar von eher überschaubarer Intelligenz ist, dies aber mit einer weit überdurchschnittlichen kriminellen Energie kombiniert. Wir möchten auch nicht behaupten, Burchett alias Jervis lüge wie gedruckt, aber wenn er euch „Guten Tag“ entbietet, richtet euch rein vorsichtshalber schon mal auf einen gebrauchten, miesen Scheißtag ein.

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Andromeda Reschke

Andromeda Whitebear Reschke lohnt auch ein genaueres Hinsehen. Sie ist offenbar rundum gerüstet; ob sie den mittleren Namen „Whitebear“ (teilweise auch mit Bindestrich als „Whitebear-Reschke“) legal oder als „schamanischen“ Namen trägt, ist nicht zu ermitteln. Auf jede Fall ist sie nicht nur über „Api-Therapie“ voll informiert, sondern kann auch über „Druidische Aromatherapie“ (Mistelnschnuppern?) vortragen. Darüber hinaus hat sie noch Hildegard-Medizin im Angebot, ist ayurvedische Meisterin und wurde von Sun Bear (siehe oben) ausgebildet. In einem Video erwähnt sie, dass die Ausbildung in ayurvedischer Medizin bei „Dr. Bruker“ erfolgte, der für seine rechtslastigen Ansichten bekannt war. Das Göttinger Tageblatt weiß zu berichten, dass der von „Andromeda Whitebear“ angebotene Honig aus Gebieten stamme, „über denen es garantiert „keine Chemtrails“ gibt“.

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Melanie Baron

Ferner wird eine Illary Melanie Baron einen Vortrag über „HUNA – das Geheimnis Schamanisches Wissen aus Hawaii“ halten. Zum in den USA und Europa verkauften Huna gibt es im Psiram-Wiki bereits einen Artikel. Frau Baron war bis ca. 2012 noch einer angeblichen Maya-Hohepriesterin namens „Mutter Nah Kin“ eng verbunden und wurde z.B. als Ansprechpartnerin für deren Seminare genannt. Nun, 2012 ist ganz harmlos ausgeklungen, da muss es ein paar Verwerfungen gegeben haben – jedenfalls hat sich Baron offenbar umorientiert. Sie trat zudem gerade erst vom 14.-17. Mai 2015 beim „Kongress Indianischer Schamanismus, Esoterik & Medialität“ auf, bei dem sie u.a. so illustre braunesoterische Mitreferenten wie Jeet Liuzzi und Trutz Hardo hatte.

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Manfred Jobst

Außerdem wird noch ein „Wacha Nabi“ angekündigt: „Spricht über seine Arbeit als indianischer Medizinmann“. Bürgerlich heißt der Herr Manfred Jobst und ist in München als Medizinmann und Heilpraktiker tätig. Jobst behauptet zwar, sein Großvater sei Chickasaw gewesen (diese Ethnie gehört zum Kulturareal Südostküste), gelernt hat er das Plastikmetier aber u.a. bei einem Blackfoot namens Devalon Small Legs (aus Kanada), der ihn auch zum „Pfeifenträger“ gemacht haben soll. Nun ist dies aber ein Titel, der in indigenen Ethnien/ Kulturen in dieser Form nicht vorkommt, aber das macht ja nix – das merkt hier keiner, und vor allem bringt es Geld. Unsere Freunde bei NAFPS kennen Herrn Jobst auch, und nach Lesen des Threads bei NAFPS ist auch deutlich, warum Herr Jobst den gutgemeinten Rat nicht annahm, seine Verwandten in den USA ausfindig zu machen und sich dort zu aklimatisieren, anstatt als Plastikschamane die Kundschaft zu veralbern.

Daneben ist Herr Jobst noch Mitglied eines Indianer- und Westernvereins, der „Southern Stars“ – er wird dort übrigens in der Rubrik „Indianer“ geführt. Dieser Verein stellte 2013 einige Mitglieder für eine sogenannte Dokumentation über das Leben von Cynthia Ann Parker bereit, die ab Kindesalter bei den Comanche aufwuchs. Die „Doku“ (Titel: Die Weiße Komantschin) wurde für SAT1 erstellt, da darf man vielleicht kein wissenschaftliches Werk erwarten, aber die Produktionsfirma war offenbar arg bemüht, kein stereotypes Fettnäpfchen und keinen Fehler auszulassen. Von denen der geringste ist, dass einige Hobbyisten der Southern Stars mit bayerischem Akzent ein paar Worte in der Sprache der Lakota haspeln dürfen – Herr Jobst wirkt in der „Doku“ übrigens mit, hat aber keine Sprechrolle. (Kritiken der „Doku“ gibt es hier und hier  [hier zunächst die englische, darunter die deutsche Fassung].) Das Angebot der Vermittlung indigener Darsteller für die „Doku“ schlug die Produktionsfirma aus und zahlte die Gage lieber den deutschen Hobbyisten.

Also wird Gögging ein Ringelreihen der Esoterikszene und leider werden dafür noch nicht einmal Hochkaräter oder Titanen des Genres aufgeboten. Gut, dafür soll es keinen Eintritt kosten. Oder?

plasticShaman2

Die Mittelbayerische erwähnt einen Betrag von € 30 für den „Vortrag“ von Ortiz/Silverbird. Das ist doch recht heftig für ein paar unbedarfte Worte und vollmundige Anmaßungen.

Das Abkassieren scheint ohnehin etwas einseitig verteilt: die Facebook-Seite informiert seit dem 2. Juni um 10:27 Uhr darüber, dass eine „schamanische Beratung“ bereits im Vorfeld gebucht werden könne. Diese kostet € 25 für 25 Minuten und kann unter der E-Mail-Adresse von Viola Flambé klargemacht werden.

Seit dem 28. April wird dort ebenfalls für „private Sitzungen“ mit Ortiz/Silverbird geworben, in denen er „Aura Readings“ anbietet – € 50 für 25 Minuten, und nur 16 Termine, also dalli-dalli: schnell buchen. Hierfür wird eine Mailadresse mit der Domain „trommelevent dot de“ genannt.

Dem Hellseher Ortiz hat also auch noch keiner aufs Pferd geholfen, dass Aura Readings nichts Indigenes sind. Aber vermutlich läuft auch das unter „Das merkt doch keiner“ und außerdem gilt eben: „pecunia non olet“. Allerdings: uns von Psiram müffeln solche Geschäftspraktiken ganz erheblich.

Kriminelle bei Psiram

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Psiram Wiki feat. The Daltons

Wer sich durch die unendlichen Weiten des Netzes bewegt und dabei auf den Namen „Psiram“ stößt, wird früher oder später mit Unterstellungen angeblich diverser Straftaten, Prozesse und Urteile konfrontiert. Auf anonymen Webseiten ohne Impressum wird geraunt, es gäbe da dunkle Machenschaften, die dringend an die Öffentlichkeit gebracht werden müssten.

Das hat uns natürlich sehr interessiert, deshalb sind wir der Sache nachgegangen und haben unser Psiram-Wiki genauer untersucht. Und tatsächlich: es wimmelt dort nur so von Gerichtsurteilen, Anklagen und Ermittlungsverfahren. In knapp 200 Artikeln haben wir entsprechende Hinweise und Quellenangaben gefunden, diese sorgfältig aufgelistet und analysiert.

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Diagramm anklicken um zugehörige Daten in der Tabelle anzuzeigen

Diese interaktive Grafik zeigt die Verteilung der im Psiram-Wiki dokumentierten Straftaten und Urteile. Ein Klick auf das jeweilige Segment öffnet eine Tabelle mit Links auf die zugehörigen Artikel.

 

Gesiebte Luft

Die Bandbreite der Kriminalgeschichten reicht von Betrug, Steuerhinterziehung, Volksverhetzung bis hin zu Körperverletzung, Totschlag und Sexualstraftaten. Ein nicht unwesentlicher Teil unserer Wiki-Bewohner hat bereits gesiebte Luft geatmet und wurde zu Haftstrafen zwischen 3 Monaten bis zu 20 Jahren verurteilt, die Summe aller Urteile mit darauf folgendem Freiheitsentzug beträgt mehr als 290 Jahre.

Aber werfen wir zunächst einen Blick auf die kleineren Übeltäter. Volksverhetzung ist unter den Bewährungs– und Geldstrafen am häufigsten zu finden. Dabei handelt es sich meistens um Anhänger kommissarischer Reichsregierungen und Verbreiter rechtsesoterischer Verschwörungstheorien. Beleidigung und Bedrohung von Staatsbediensteten gehören in diesen Kreisen ebenso zum guten Ton wie die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole und wurden mit entsprechenden Urteilen geahndet.

Bemerkenswert: Unter den Kleinkriminellen im Psiram-Wiki finden sich so gut wie keine Betrüger, wenn man minderschwere Fälle von Steuerhinterziehung und Konkursbetrug vernachlässigt. Verurteilungen wegen Betruges fingen sich vorwiegend die Schwergewichte der Scharlataneriebranche ein. Spitzenreiter ist hier ein Anbieter unkonventioneller Krebstherapien, der zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde. Gewissermaßen außer Konkurrenz wird die Top-Ten jedoch vom Erfinder des Wasserautos angeführt, der seine Strafe allerdings nie antrat und frühzeitig verstarb.

„Perendev-Generator“ von Mike Brady

Unmögliche Erfindungen und schräge Geschäfte mit dem Geld anderer Leute scheinen ohnehin sichere Tickets in die staatliche Vollpension zu garantieren. Hier seien beispielhaft Andrea Rossi (E-Cat), Horst Kirsten (GFE), Mike Brady (Perendev) und Holger Thorsten Schubart (Neutrino Inc.) erwähnt, die aus ihrer frischluftarmen Vergangenheit immerhin gelernt haben, nur noch leere Versprechungen statt funktionsloser Geräte und geplatzter Kredite zu verkaufen.

Erschreckend fanden wir die Tatsache, dass ein großer Teil der dokumentierten Straftaten Sexualdelikte betrifft, deren Opfer teils minderjährige Personen waren. Diese Verbrechen fanden überwiegend im Umfeld von Sekten und esoterischen Vereinigungen statt.

Ebenfalls grausam sind unterlassene, aber notwendige medizinische Behandlungen, die zu Verurteilungen wegen Körperverletzung und fahrlässiger Tötung durch Unterlassen führten. Unter den Verurteilten finden sich etwa Anhänger der Germanischen Neuen Medizin nach Hamer, die sich weigerten, ihren Kindern eine Versorgung nach aktuellen wissenschaftlichen Standards zukommen zu lassen, aber auch falsche Heiler, die krebskranke Patienten durch pseudomedizinische Verfahren in den sicheren Tod schickten.

Viele Möchtegern-Mediziner schmücken sich mit falschen Titeln, lassen sich als Doktor und Professor bezeichnen oder glänzen mit Jodeldiplomen von Titelmühlen. Jene, die sich dabei weniger geschickt anstellten, konnten dafür bis zu zwei Jahren Auszeit in ihren Lebenslauf eintragen.

Die gute Nachricht zum Schluss: Eine Auswertung der polizeilichen Führungszeugnisse sämtlicher Wiki-Autorinnen und Autoren bei Psiram ergab übrigens insgesamt eine Zahl von – Moment, nochmal nachrechnen – ja, exakt Null dokumentierten Verurteilungen, auch keine laufenden Strafverfahren und selbst die Hochschulabschlüsse sind alle echt.

Im Psiram-Wiki dokumentierte Haftstrafen – „Top-Ten“
Person Artikel Urteil(e) Delikt
Daniel Dingel Wasserauto 20 Jahre Betrug
Guy-Claude Burger Guy-Claude Burger 15 Jahre + 4 Jahre Sexualdelikt
Nicholas Bachynsky Intracellular Hyperthermia Therapy 14 Jahre Betrug
Michel und Dagmar Ginoux Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme 12 Jahre Körperverletzung
Holger Thorsten Schubart Neutrino Inc 4 J. 4 M., 6 J. 6 M. Betrug
Jim McCormick ADE 651 10 Jahre Betrug
Kevin Trudeau Kevin Trudeau 10 Jahre Betrug
Horst Kirsten Freie-Energie-Geschäftsmodelle 9 Jahre Betrug
Andrea Rossi Focardi-Rossi-Energiekatalysator 9 Jahre Betrug
Grigori Grabovoi Grigori Grabovoi 8 Jahre Betrug
Otto Mühl Otto Mühl 7 Jahre Sexualdelikt




Mehr zum Thema:

Wenn Heilpraktiker ihr Unwesen treiben – Ein Horror-Erlebnisbericht einer Krebspatientin

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Der folgende Artikel erschien am 29. Juni 2015 im Ratgeber-News-Blog. Wir sind der Ansicht, dass dieser Bericht möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden sollte, um sich der Gefahren „alternativer“ Krebstherapien bewusst zu werden.

Link zum Original-Artikel: https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2015/06/29/wenn-heilpraktiker-ihr-unwesen-treiben-ein-horror-erlebnisbericht-einer-krebspatientin/

 


 

Über den Größenwahn von Heilpraktikern und dass vor ihnen selbst schwerste Krankheiten wie Krebs nicht sicher sind, wissen wir längst Bescheid. Hier nun aber ein konkreter Fall einer Krebspatientin, die es einem Heilpraktiker zu verdanken hat, hier sogar ihrem eigenen Mann, bald sterben zu müssen.

Der Bericht ist nichts für schwache Nerven. Einfach unvorstellbar furchtbar, welches vermeidbare Leid dieser Frau widerfahren ist, die nun im Endstadium nicht nur rechtliche Konsequenzen und Gerechtigkeit fordert, sondern jeden vor den Allmachtsphantasien des Heilpraktikers und Überzeugungstäters Siegfried H. Reichardt und seinesgleichen warnen möchte.

Die große Ausnahme dieses speziellen Falles ist sicherlich die zusätzliche persönliche Beziehungsebene, was jedoch nicht davon ablenken sollte, dass Einstellung und Therapieansätze des Heilpraktikers heute überall zu finden sind und eigentlich die Regel darstellen.

Soll mir also niemand damit kommen, dass es sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall handelt, auch wenn natürlich nicht jeder Heilpraktiker seine Grenzen so sehr überschreitet oder sich jeder Patient so hörig verhält. Von den nicht wenigen Opfern, meist eingeschüchtert und verschämt, hört die Öffentlichkeit nur eben nichts.

Einen herzlichen Dank an Frau Reichardt für ihre Courage und Offenheit!

Gesucht wird noch ein kompetenter Anwalt im Raum Stuttgart, dessen Fachgebiete sowohl Medizin- als auch Scheidungsrecht sind. Ansonsten ist Frau Reichardt, die sich in der Klinik befindet, dankbar für jeden Tipp, was ihr weiteres Vorgehen betrifft und wünscht sich eine weite Verbreitung ihrer Geschichte in jeglichen Medien.

Der Kontakt kann über mich hergestellt werden. (Anm.: Über Ratgeber-News-Blog)

Also liebe Leser, bitte teilen, rebloggen und Journalisten darauf aufmerksam machen!

Es ist so unendlich traurig und macht unheimlich wütend …

Mit diesem “Trauma”, werde ich noch die restliche Zeit meines Lebens zu tun haben, umso wichtiger erscheint mir, darüber zu schreiben.

Mein Name ist Susanne Reichardt, ich bin 55 Jahre alt und in zweiter Ehe, seit 2008, mit Siegfried Heinz Albert Reichardt, Heilpraktiker, verheiratet. Aus meiner ersten Ehe, die 27 Jahre hielt, habe ich fünf Kinder.

Als ich diesen Mann kennengelernt habe, hatte ich anscheinend eine “dunkelrosa” Brille auf. Für Fremde und Patienten ist er ein Mann mit unheimlich viel Fachwissen, da er stundenlang und überzeugend reden kann, in Wahrheit ist er aber ein notorischer Besserwisser, der keine andere Meinung neben sich duldet. Im privaten Umfeld ein regelrechter Tyrann, wenn es nicht nach seinem Kopf geht.

2010 habe ich in meiner linken Brust eine Veränderung in Form eines kirschkerngroßen Knotens festgestellt.

Mein Mann, der “Heilpraktiker” ist und nach eigenen Angaben über 20 Jahre Erfahrung mit Krebspatienten hat, hat mir versichert, daß es sich dabei nur um eine harmlose Zyste handelt. Meine Bitten, es bei einem Gynäkologen abklären zu lassen, wurden ignoriert (“die Ehefrau eines Heilpraktikers braucht keinen Arzt”, sagte er). Ich bekam von Ihm eine homöopathische Creme zur Behandlung (Antimas selz von Asconex) und habe fleißig eingecremt und dem auch vertraut.

Egal, wie ich argumentiert habe, ob es eventuell doch Krebs sein könnte, wurde ich darauf hingewiesen, daß ich doch überhaupt keine Ahnung von Medizin habe.

Bis zum August 2013 durfte ich zu keinem Arzt oder Gynäkologen, da das, laut seiner Meinung, alles nur Scharlatane sind und alle Ärzte ja mit der Pharmaindustrie zusammen arbeiten.

Die vermeintliche “Zyste” wurde aber immer größer, härter, war nicht mehr verschiebbar und ich hatte sehr viele Schmerzen. Zu der Zeit habe ich sehr viele Schmerztabletten genommen, die ich mir aber heimlich besorgen mußte, da dies von meinem Mann nicht erlaubt worden wäre.

Nach langen Auseinandersetzungen mit meinem Mann durfte ich dann zu einer praktischen Ärztin (Fr. Dr. F. in Kirchberg) um mir eine Überweisung für eine Frauenärztin zu besorgen. Die empfohlene Ärztin (Fr. Dr. D.) war in Bingen am Rhein.

Schon beim ersten Blick auf meine Brust sagte die Ärztin: das ist bösartiger Brustkrebs.

Nun wurden meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt und ich hatte endlich eine “Diagnose”. Trotzdem man im ersten Moment komplett geschockt ist, dachte ich damals, endlich hilft dir jemand, endlich nimmt jemand deine Ängste ernst und redet dir nicht nur ein, daß du dir das alles nur einbildest.

Die erste Reaktion meines Mannes war natürlich: Ärzte können sich auch täuschen…, es ist ja noch lange nichts bewiesen…, es passieren so viele Ärztefehler… usw.
Auf die Aussage hin: Du hast bei mir eine Falschdiagnose gestellt und somit verhindert, daß ich frühstmöglich behandelt werden konnte, kam die Antwort: ich habe in meiner Praxis keine bildgebenden Verfahren, also Ultraschall. Es waren für ihn immer die anderen schuld, er konnte sich immer sehr gut aus allem rausreden.

Für mich begann dann damals der Untersuchungsmarathon in der Radiologie in Bingen und in der Horst Schmidt Klinik in Wiesbaden, die auch ein Brustzentrum haben. Es wurde eine Mammographie gemacht, ein Ct Thorax, Ct Abdomen, ein Knochenzynthigramm und in der Brustsprechstunde von Fr. Dr. L. eine Stanzbiopsie.

So hatte ich im September 2013 schon alle Ergebnisse, mit dem Befund, daß der Tumor, der inzwischen exulcerierend (offen) war, bereits 6,4 x 5,1 x 7,2 cm groß war mit Infiltration des Sternum (Befall des Brustbeines). Die Lymphknoten und die rechte Brust waren unauffällig.

Als mögliche Therapie wurde mir eine Chemotherapie mit Taxol weekly, mit Avastin und mit dem Bisphoshponat Zometa vorgeschlagen. Dadurch hätte man erreicht, daß der Tumor kleiner wird und der Rest operativ entfernt werden konnte.
Mein Mann aber hat mir diese Therapie verboten, mit der Begründung: die wollen Dich nur umbringen…, es gibt Studien, daß kein Arzt an sich selber oder an einem Familienmitglied eine Chemotherapie machen würde…, außerdem bringt das alles garnichts für dich, sondern nur der Pharmaindustrie…

Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hatte mir so sehr gewünscht, richtige ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Ich hatte soviel Hoffnung, aber es wurde mir nicht erlaubt.

Nochmehr wurde dieser egoistische Mensch in seiner Meinung bestätigt, als er erfahren hat, daß ich mir wegen meinem nicht mehr so guten Zahnstatus alle Zähne im Oberkiefer (entfernen lassen muß, um während der Zometabehandlung keine unerwünschten Nekrosen und Entzündungen zu bekommen, die dieses Mittel erzeugen kann.
Ab diesem Zeitpunkt war er voller Eifer dabei, mir immer wieder die negativen Seiten einer Chemotherapie zu erklären. Ich wurde jeden Tag mit meiner Krankheit konfrontiert, es gab kein “normales” Leben mehr, der Psychoterror artete in Psychofolter aus.

Im Oktober war ich für 9 Tage in der Biomed Klinik in Bad Bergzabern. Beim Vorgespräch mit Dr. M. wurde mein Therapieplan festgelegt, der aus einer metronomischen Therapie bestehen sollte, das heißt, naturheilkundliche Mittel in Kombination mit Xeloda, außerdem sollte ich noch Tiefen- und Oberflächenhyperthermie bekommen. Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wußte, war, daß man diese Art von Behandlung alle 12 Wochen wiederholen soll, damit es etwas bringt. Das heißt viermal im Jahr nach Bad Bergzabern, aber auch das hat er mir verwehrt. Auf einmal war für diese lange Strecke unser Auto zu alt und ein Risiko so viele Kilometer zu fahren. Der Vorschlag von mir, den Zug zu nehmen, wurde verworfen.

Somit stand, nach meiner Entlassung aus dieser Klinik, für meinen Mann fest, daß er nun meine Behandlung übernimmt. Er wollte die Wundversorgung machen, alle “Medikamente” besorgen und mir eine Liste erstellen, was und wie ich etwas einnehmen soll.

Es waren in der Regel 35 bis 38 Tabletten täglich, Kapseln, Globuli oder Nahrungsergänzungsmittel, dazu noch zu einem Drink angerührtes Reishipilzpulver, Vitamine, Mineraltabletten, Schüssler Salze, Enzyme, Kolloide, Aprikosenkerne (bis zu 60 Stück am Tag), Kurkuma, Grüntee usw… auch das jetzt so umstrittene Mittel MMS, das den Magen verätzen kann mußte ich nehmen. Er hat auch über eine Bekannte, die Zahnärztin ist, die “Schwarze Salbe” besorgen lassen mit der ich den Tumor einschmieren sollte, damit der dann aus meinem Körper “fällt”. Jeden Tag sollte ich mit einem Teststreifen die Übersäuerung meines Körpers testen, war der Grenzbereich überschritten, gab es zusätzlich Alkala N. Immer wieder gab er mir auch was anderes, ich kam mir vor wie ein Versuchskaninchen. Meinen offenen Tumor habe ich immer selber reinigen und verbinden müssen.

Diese Form der “Therapie” habe ich ein Jahr lang durchgehalten mit dem Ergebnis, daß überhaupt kein einziges “Mittel” irgendeine Veränderung bewirkt hat. Im Gegenteil mir ging es immer noch schlechter, der Krebs nahm immer mehr Raum ein und die Schmerzen waren unerträglich. Ich hatte ein schweres Lymphödem (lt. Therapeutenliste der GfbK [Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr e.V.], auf der mein Mann steht, bietet er Lymphdrainage an) und konnte den linken Arm kaum noch bewegen, außerdem Kurzatmigkeit und Herzrasen. Sobald ich eine Treppe laufen wollte, hatte ich auch im linken Bein schlimme Schmerzen, die er mit einem Retterspitzumschlag heilen wollte. Ich konnte mich dann nur noch im Schlafzimmer im Bett aufhalten, da ich überhaupt nichts mehr tun konnte.

Für meinen Mann stand fest, daß alles nur an mir liegen würde, da ich immer noch nicht “gesund” bin. Er hat sogar vermutet, daß ich seine “Medikamente” garnicht nehmen oder wegschmeißen würde, das war aber nicht so. Außerdem hat er mir empfohlen zu meditieren, Reiki zu machen oder den Heilstrom von Bruno Gröning in Anspruch zu nehmen. In der ganzen Zeit war er sehr herrschsüchtig und bestimmend. Durch den ausbleibenden “Heilerfolg” mußte er sich auch immer wieder andere erfundene Rechtfertigungen und Lügen ausdenken, aber er hätte niemals zugegeben, daß er seine Kompetenzen als Heilpraktiker überschritten hat. Er war immer der Meinung entweder eine naturheilkundliche Behandlung oder eine schulmedizinische. Ein Miteinander hätte es für Ihn nicht gegeben.

Im September 2014 war ich psychisch so fertig, daß ich keinen anderen Ausweg mehr sah, als dem Ganzen ein vorzeitiges Ende zu setzen. Für mich gab es nur noch diesen Ausweg, um endlich von den Schmerzen, seiner körperlichen Gewalt und dem täglichen Psychoterror befreit zu sein.

Ich besorgte mir eine Flasche Rotwein, Schlaftabletten hatte ich schon und einen Zettel, um einen Abschiedsbrief zu schreiben. Das merkte auch mein Mann und hat daraufhin kurzentschlossen den Notarzt angerufen und mich in die Psychiatrie einweisen lassen. Das war für ihn das Beste, was ich tun konnte, denn so konnte er überall erzählen wie geisteskrank ich doch nun auch schon bin.

Im Krankenhaus hat sich schon beim Vorgespräch mit einem Psychiater herausgestellt, daß ich im Kopf klar und gesund bin, aber sehr verzweifelt. Nachdem ich ihm auch noch geschildert habe, welche Umstände mich zu dieser Kurzschlusshandlung veranlasst haben, sagte er wortwörtlich: ich glaube, ihr Mann gehört hierher und nicht sie.
Er hat dann umgehend veranlasst, daß ich auf die gynäkologische Station aufgenommen wurde, da mein allgemeiner Gesundheitszustand sehr schlecht war.

Während meinem fast vierwöchigen Krankenhausaufenthalt in der Hunsrück-Klinik in Simmern, habe ich dann erfahren, daß der Krebs bereits so fortgeschritten war, daß ich nur noch 6 Wochen zu leben hätte. Auch wurde mir gesagt, daß ich nicht mehr laufen darf, da der linke Oberschenkelknochen schon so porös ist, daß er bei Belastung bricht. Das hieß: Rollstuhl.

Ich konnte und mußte von heute auf morgen mit einer Chemotherapie beginnen, da der Krebs sich im kompletten Oberkörper ausgebreitet hatte, durchs Brustbein hindurch und auch schon das Herz angegriffen hatte. Meine Herzleistung war deshalb sehr vermindert und es war bereits eine Wasseransammlung in einem Herzbeutel.

Nach dem Krankenhausaufenthalt wurde ich zur Kurzzeitpflege in das Seniorenheim Vitalis in Simmern untergebracht. Mein Mann hat mir versprochen, daß er mir während dieser Zeit im Erdgeschoss des Hauses ein Zimmer behindertengerecht ausbauen wird, in dem ich mit dem Rollstuhl zurechtkomme.

Am 03.11.2014 holte er mich dort ab und brachte mich nach Hause. Zu meinem Entsetzen war jedoch nichts fertig, alles war noch eine Baustelle. Ich konnte mich in diesem Zimmer überhaupt nicht aufhalten es herrschte dort ein Chaos von Schmutz, Werkzeug, alte Möbel, keine eingebaute Türen…usw. Diese ganzen Versprechungen entpuppten sich als die größten Lügen.
Im Seniorenheim hat er dem medizinischen Dienst noch versichert, daß er meine Pflege und Versorgung übernehmen wird, das habe ich schriftlich.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als auf meinem Hinterteil die Treppe in den ersten Stock hochzurutschen, mich robbend ins Schlafzimmer zu begeben und dort meine Tage zu verbringen.

Ich bekam keine ärztliche Hilfe, der ambulante Pflegedienst, der meine Wundversorgung übernehmen sollte wurde von ihm abbestellt, die tägliche Trombosespritze hat er mir nicht gegeben, das habe ich dann selber gemacht, er hat mir bei der Pflege (waschen und anziehen) kein einziges Mal geholfen und nach zwei Tagen bekam ich dann auch kein Essen und Trinken mehr, das war dann am Donnerstag, dem 06.11.2014.

Mir ging es bis zum Abend diesen Tages so schlecht, da ich auch keine Schmerzmittel nehmen konnte, daß mir nichts anderes übrig blieb als die Polizei anzurufen und um Hilfe zu bitten. Als die kamen und meinen sehr kritischen Gesundheitszustand sahen alarmierten sie sofort den Notarzt. Mein Mann, den die Polizei gebeten hat, mir eine Tasse Tee zu bringen und er dazu außerstande war, mußte einen Alkoholtest durchführen lassen, durch den sich bestätigen ließ, daß er an diesem Tag (und nicht nur an diesem) 3,3 Promille Alkohol hatte.

Durch die “Rettung” der Polizei und des Notarztes überlebte ich die Nacht, die ich in der Notaufnahme des Krankenhauses verbracht habe, daheim wäre ich gestorben, er wollte mich buchstäblich “verrecken” lassen.

Die Polizei und die Ärzte im Krankenhaus haben mir nahegelegt, auf keinen Fall zu meinem Mann zurückzukehren. Somit haben meine Kinder und ich beschlossen, daß ich in ihrer Nähe, eventuell in einem Pflegeheim, unterkommen soll. Sie haben mich dann am Sonntag, den 09.11. aus dem Krankenhaus abgeholt und nach Stuttgart mitgenommen, zuvor in Metzenhausen, bei meinem Mann, noch den Rollstuhl, den Toilettenstuhl, ein bißchen frische Wäsche und zwei dicke Jacken geholt. Ich konnte in Stuttgart bis Anfang Mai bei meinem Schwiegersohn wohnen.

Das Fazit von allem ist, daß ich als Ehefrau und seine Patientin keine Chance hatte, meine eigenen Entscheidungen zu treffen, da er mit seiner dominanten Art auch keine Widerworte geduldet hätte, ich war eine Gefangene in seinem “System”. Mir wurde alles genommen, was das Leben lebenswert macht, so auch der Kontakt zu meinen Kindern und Freundinnen, den er strikt unterbunden hat. Er hat mit meiner “Gesundheit” ein ganz ganz böses Spiel betrieben und ist sich auch jetzt immer noch keiner Schuld bewußt. Er hat nie eingesehen, daß sein “Fachwissen” nicht ausreicht um mir helfen zu können. Er hätte mir freiwillig nie erlaubt mich schulmedizinisch behandeln zu lassen, obwohl ein Heilpraktiker schwer kranke Patienten zum Arzt schicken muß (VGH Bad-Wü vom 02.10.2008 Aktenzeichen 9S 1782/08). Für neue Therapieformen aus der Schulmedizin war er nie offen.

Ich habe ihn, seit ich in Stuttgart bin wegen unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung angezeigt. Mein letzter Wunsch ist (ich bin im Endstadium), daß dieser Mensch nie mehr einen Hilfesuchenden “behandeln” darf.

 

Mehr zum Thema:

 

Dieser Artikel ist ebenfalls auf folgenden Seiten erschienen oder zitiert worden:

Neues von Raif Badawi

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Wie allgemein bekannt, wurde der saudiarabische Blogger Raif Badawi wegen Beleidigung des Islam von einem Gericht seines Heimatlandes zu 10 Jahren Haft, 1000 Stockhieben und 1 Million Riyal ($267,000) Strafe verurteilt. Man muss die Barmherzigkeit Allahs preisen, dass es nicht 100 Jahre, 10.000 Hiebe und 1 Milliarde Riyal geworden sind, oder die schlichte Todesstrafe, die für Apostasie infrage gekommen wäre.

Liebe Leserin, lieber Leser: Wenn Sie bis zu dieser Zeile gekommen sind, bedeutet das wohl, dass Sie lesen möchten, was ich zu sagen habe. Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, dass ich etwas zu sagen habe. Es gibt aber auch solche, die meinen, dass ich einfach ein gewöhnlicher Mensch bin. Einer, der es nicht verdient hat, dass seine Blogartikel übersetzt und als Buch veröffentlicht werden. Ich selbst sehe mich einfach als jenen dünnen, aber zähen Mann, der auf wundersame Weise fünfzig Peitschenhiebe überlebt hat, umringt von einer jubelnden Menschenmenge, die immerzu »Allahu Akbar« rief – um der Artikel willen, die Sie jetzt lesen werden.

So beginnt das Buch „1000 Peitschenhiebe, weil ich sage was ich denke“ (Raif Badawi, Constantin Schreiber, Hrsg., Ullstein Berlin, 2015, hier). Ein kleines Büchlein, nur ein paar dutzend Seiten. 2010 schreibt er beispielsweise:

Ein Freund aus der Levante fragte mich neulich: »Wie würdest du eigentlich dazu stehen, wenn es der Hamas gelingen würde, Palästina zu befreien?« Ohne zu zögern, antwortete ich ihm: »Ich wäre der Erste, der gegen die Hamas in den Kampf ziehen würde.« Mein Freund schien etwas überrascht über meine Antwort. Er fragte nach: »Du würdest die Hamas bekämpfen, selbst wenn sie Palästina befreit hätte?«

»Ja, absolut. Und wenn sie Israel komplett ins Nichts befördern würde – wobei ich keineswegs glaube, dass sie das tun würde: Ich wäre der Erste, der sie bekämpft.« Nachdem unser Gespräch sich kurz in einem Schweigen verfangen hatte, nahm ich gelassen wieder das Wort, um meinen Ansatz besser zu erklären:

»Natürlich bin ich dagegen, dass Israel ein arabisches Land besetzt hat. Aber ich möchte die israelische Besatzung auch nicht gegen einen auf Israels Ruinen gegründeten Gottesstaat eintauschen. Das Einzige, was die Hamas kann, ist eine Kultur des Todes und der Ignoranz unter dem Volk verbreiten. Und das zu einer Zeit, wo wir nichts dringender brauchten als Leute, die eine Kultur des Lebens und der Zivilisation voranbringen, Leute, die uns Hoffnung machen können.

Schau dir doch einmal die ganzen Staaten an, die sich aus einer Religionsvorstellung heraus legitimieren. Schau dir ihre Völker an und was innerhalb von wenigen Generationen aus ihnen wird. Was haben solche Staaten denn zu bieten in Sachen Zivilisation? Überhaupt gar nichts. Nichts, nur Gottesfurcht, Lebensunfähigkeit und noch einmal nichts. Solches Gedankengut hat vielerorts Generationen von Menschen geformt – und tut es nach wie vor: zu Personen, die keiner Kreativität und Kultur mehr fähig sind. Ja, sie sind nicht einmal in der Lage, eine Zivilisation zu leben, die von außen zu ihnen gekommen ist – da man offenbar nicht von ihnen erwarten kann, dass sie ihre eigene Zivilisation hervorbringen.

Das ist natürlich nicht hinnehmbar von einer Theokratie.

Am 7. Juni 2015 bestätigte das oberste Gericht des Landes als letzte Instanz das Urteil; es ist anzunehmen, dass Badawi bald die nächsten Schläge aushalten soll. [SPIEGEL online, 07. Juni 2015, hier]

Schriftlich hat sich Saudi-Arabien beim Europaparlament über Kritik am Urteil gegen den Blogger Badawi beschwert. Das Auspeitschen verstoße nicht gegen Menschenrechte.
[ZEIT online, 10. Juni 2015, hier]

Was sind eigentlich Menschenrechte, Majestät? Die Schwester von Raif, Samar Badawi, hat übrigens 2010 mehrere Monate im Gefängnis verbracht, weil sie ihrem Vater nicht gehorcht hatte. Richter Abdullah al-‘Uthaim wird mit den Worten zitiert, dass schwere Fälle von Ungehorsam die Haft erforderten. Die 15jährige Haftstrafe für den Anwalt Raif Badawis hatten wir ebenfalls schon kurz gestreift.

Hier ein Kommentar aus dem arroganten Westen:

Miseret me quidem Terrarum Orientalium, primae sapientum sedis, florentissimi olim bonarum literarum Emporii, a multis retro saeculis in foedam barbariem conversarum.
Gewiss jammern mich die orientalischen Länder, erster Sitz der Philosophen, einst angesehenster Markt der guten Wissenschaft, seit vielen Jahrhunderten in schändliche Barbarei gestürzt.
Thomas Burnet: Archaeologiae philosophicae, 1692

الحرية للرائف بدوي

Freiheit für Raif Badawi!

Management und Esoterik

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Eigentlich… ist eigentlich ein Unwort. Doch in diesem Zusammenhang macht dieses Unwort Sinn. Denn eigentlich sollte man meinen, dass die deutschen Wirtschaftsunternehmen rein rational getrieben sind. Klar, es gibt signifikante Unterschiede zwischen den kleinen Betrieben, dem klassischen deutschen Mittelstand und den großen Konzernen. Doch eines sollten sie gemein haben: Fakten als Fundament und klare betriebswirtschaftliche Spielregeln… Eigentlich.

Doch der Einfluss der Esoterik macht auch vor Vorstandsetagen – und besonders vor Personalvorständen – nicht Halt. Auf der ständigen Suche nach Optimierungspotentialen in der Personalentwicklung sind die Verantwortlichen die Getriebenen. Der immer unübersichtlicher werdende Markt der selbst ernannten Trainer- und Coach-Gurus treibt die wildesten Blüten.

Richtig ernst wurde es gegen Ende der 90er-Jahre. Jürgen Höller galt als Vorreiter des Motivations-Trainers. Zu seinem Repertoire gehörte u. a.: Barfuß über Glasscherben laufen, positives Denken [1] und NLP [2].

Dies zog zahlreiche Nachahmer nach sich, bis die medienwirksame Pleite, rechtskräftige Verurteilung wegen Meineid und Steuerhinterziehung und die daraus resultierende Haftstrafe des Jürgen Höller die Welt der Gurus in ein kritisches Licht rückte.[3]

Nun sollte man denken, die Verantwortlichen aus den Personalabteilungen hätten daraus gelernt – weit gefehlt! In der Gegenwart ist dieses Thema immer noch präsent – nur nicht ganz so marktschreierisch wie zu Höllers Zeiten. Das haben die Motivations-Gurus gelernt: Sie kommen mittlerweile auf leisen Sohlen daher. Natürlich finden sich Angebote zu NLP tagesaktuell im Netz. Selbst im als seriös geltenden Business-Netzwerk „Xing“ machen sich die Gurus breit. Gibt man bei „Xing“ den Suchbegriff „NLP“ ein, so werden „+10.000 Treffer“ angezeigt. Gruselig.

Schaut man sich die Web-Seiten dieser Anbieter an, ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass diese ganz offen das Neurolinguistische Programmieren bewerben. NLP kann gefährlich sein, wird diese Methode meist zur Manipulation eingesetzt. Dass NLP wissenschaftlich nicht anerkannt ist, versteht sich daher fast von selbst. Dafür sind die Kurse umso kostspieliger, je mehr sie ihre Teilnehmer „qualifizieren“. Als „Einsteiger“ zahlt man bei einem Anbieter 95,00 EUR. Wer dann den Kurs zum „Practitioner“ machen möchte, muss bis zu 1.980,00 EUR hinblättern. Doch es geht noch mehr: Der „Master“ ist für schlappe 2.200,00 EUR zu haben. Das kann dann nur noch der Kurs zum „Coach“ toppen: Hier sind Sie für 3.490,00 EUR dabei. Nicht zu vergessen ist das Supervisionsmodul für 200,00 EUR. Da Sie aber ganz von vorne anfangen müssen und ein Kurs auf dem anderen aufbaut, werden Sie bis zum Coach inkl. Supervision 7.965,00 EUR benötigen.[4] Und das alles für eine fragwürdige Technik aus dem Reich der Pseudowissenschaften und nur ein Beispiel von vielen.

Hier ist eine Filterung durch kritische Personalreferenten und Manager recht einfach möglich. Schwieriger wird es bei Anbietern, welche die Kurse mit esoterischen Inhalten verdeckt anbieten. Es fällt auf, dass ein Name auch bei ansonsten seriösen Anbietern immer wieder auftaucht. Dieser Mann hat es sogar in das Wiki von Psiram geschafft: Gerald Hüther [5]. Beispiele für seriös auftretende Anbieter sind z.B. das „Forum für Führungskräfte“[6] und die mit guter Reputation versehene Organisation „Management Circle“. Diese bietet einen Tag mit Prof. Gerald Hüther unter dem Schlagwort „Neurowissenschaft und Führungskunst an.[7]

Mit der Soziologie der Managementesoterik hat sich ein gewisser Dr. Viktor Lau beschäftigt. Er macht auf der Seite „Sektenwatch.de“ seinem Frust über den esoterischen Einfluss bei Management-Seminaren ordentlich Luft. Diese Luft hat sogar ausgereicht, um ein ganzes Schwarzbuch mit dem Untertitel „Spinner in Nadelstreifen“ (nicht zu verwechseln mit dem Buch „Nieten in Nadelstreifen“) darüber zu schreiben.[8]

Wann sollte der geschätzte Manager also skeptisch werden? Immer dann, wenn z.B. folgende Schlagworte in den Seminarzielen auftauchen:

NLP, Tiere als Co-Trainer, Transaktions-Analyse, Typologische Psychologie, Zen-Leadership …

Es ist geboten, sich eine Übersicht zu verschaffen und seriöse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden.

Nun mag man denken, dass diese Seminare der durchschnittlich begabten mitteleuropäischen Führungskraft nicht schaden. Das sieht Dr. Lau ein wenig differenzierter. Die Gründe für den Zuspruch der Seminare mit esoterischem Hintergrund beschreibt Dr. Lau u. a. so:

Andauernde Erosion der Staatskirchen, Wegfall des Ost-/Westkonfliktes , Multi-Optionsgesellschaften und Bastelreligionen, Verunsicherung durch (gefühlte) Erosion der gut ausgebildeten, gut verdienenden oberen Mittelschicht, der Kult ums eigene Ich, alternative Medizin als integraler Bestandteil der Lebensführung.

Die aus diesen Seminaren resultierenden Gefahren beschreibt Dr. Lau wie folgt:

Pathologisierung und Verunsicherung von Führungskräften und Mitarbeitern, Verschwendung betrieblicher Mittel und Ressourcen, Entprofessionalisierung der Personalentwicklung; Verlust des (rationalen) Unterscheidungsvermögens, Rechtsverstöße, Einführung destruktiver Konzepte von Hierarchie, Elite und Leistung; Ideologisierung der Unternehmens- und Mitarbeiterführung, Entsolidarisierung; Verlust der gemeinschaftlichen Orientierung.

Zusammenfassend gesagt ist der esoterische Einschlag bei den beruflichen Seminaren gefährlich, bis hin zur Gefährdung des Unternehmens und der Arbeitsplätze selbst.[9] Gefährlich aber auch, weil er versteckt daher kommt.

Die Gefahr ist gegeben, dass unbedarfte Manager ihre Führungskräfte und sich selbst in bester Absicht zu solchen Seminaren schicken. Man kann daher nur an die Seminarverantwortlichen der Unternehmen appellieren: Schauen Sie sich die Inhalte genau an. Prüfen Sie die Inhalte auf oben genannte Schlagworte und googeln Sie die Namen der Referenten. Es gibt genügend seriöse Seminare, die Sie an das gewünschte Ziel bringen.

Mehr zum Thema:

http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/management-esoterik-warum-hobby-therapeuten-nicht-in-firmen-gehoeren-a-929891.html

http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2009/04/07/neuer-job-mit-esoterik/

https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2013/11/26/vorsicht-coaching-psycho-physiognomik-und-weiterer-esoterischer-unsinn/

https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2014/09/17/kritik-an-gangigen-bewerbungsverfahren-aussagekraftig-wie-horoskope/

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=47565


 

  1. www.psiram.com/ge/index.php/Positiv_Denken
  2. www.psiram.com/ge/index.php/NLP
  3. de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_H%C3%B6ller
  4. communicati.de/communicati/termine-und-preise/
  5. www.psiram.com/ge/index.php/Gerald_H%C3%BCther
  6. www.fff-online.com/themenuebersicht/top-speaker-specials/seminar/hirnforscher-prof-gerald-huether-entfalten-sie-ihre-potenziale.html
  7. www.managementcircle.de/seminar/hirnforschung-innovationsgeist-fuehrungskunst-ein-tag-mit-gerald-huether.html
  8. www.sektenwatch.de/drupal/sites/default/files/files/ZEB_140501_Spinner%20in%20Nadelstreifen_Vortrag_VL_V02-1.pdf
  9. www.handelsblatt.com/unternehmen/management/esoterik-im-allgaeu-aktionaere-meutern-gegen-merckle-erben/3179248-all.html

 

Schon wieder der angebliche Betreiber von Psiram enttarnt – oder doch nicht?

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Benjamin_Ernst_Honigmann

Diesmal wirds gefährlich und peinlich – nein, nicht für das Projekt Psiram oder andere Blogger. Diesmal steht das Renommee eines Königs samt seinem KRD-Geheimdienst sowie von Teilen der Reichsbürgerbewegung auf dem Spiel und nebenbei riskiert ein ähh lichtbildscheuer Edelmetallhändler sein Konterfei. Was ist da passiert seit dem 25. Juli 2015? Ernst Köwing (a.k.a. Honigmann) glaubt, einen der Herausgeber von Psiram bildlich identifiziert zu haben, zeigt in seinem Blog aber das ihm auf unbekannte Weise zugegangene Bild des Edelmetalldealers und keltischen Druiden Benjamin Ernst vor, eines Intimus von Jo Conrad und Aktivisten des Projekts Aufbruch Gold Rot Schwarz. Conrad hatte Ernst 2012 in einem Video selbst interviewt, das Video mit dem Titel „Operation Gotthardmassiv“ erschien jedoch nicht in gewohnter Weise im Conrad-Projekt Bewusst TV; die Thematik war wohl zu peinlich. Es ging um Goldgeschäfte in der dafür sensiblen Reichsbürgerszene, die ja regelmäßig einen Zusammenbruch des Geldsystems herbeiorakelt. Dumm nur, dass das per Vertrag georderte Gold nicht so recht zu den Kunden kam, die es wohl besser bei einer herkömmlichen Bank „des Systems“ gekauft hätten.

Wie die entsprechende Szene zusammenhängt, zeigte sich dann gleich drei Tage später, als seine Durchlaucht, der König von Deutschland, seinen Facebook-Account nutzte, um das Bild des Goldhändlers Ernst als das eines anderen unbekannten Bloggers und angeblichen Psiramverantwortlichen vorzuzeigen. Der Blog von Beamtendumm sprang ebenso dumm auf.


Xavier Naidoo ist ein Antisemit

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naidoo

 

Wollten wir einfach mal sagen. Weil es andere nicht mehr sagen dürfen, ohne ihre finanzielle Existenz zu gefährden. Der Mannheimer Schmusesänger mit ganz viel Emotion, Schluchzseufzern und christlich radikaler Aufrichtigkeit ist gnadenlos, wenn er einen Spiegel vorgehalten bekommt. Wer dumm, größenwahnig oder sonstwie ernsthaft in der Selbsterkenntnis begrenzt ist, reagiert darauf ähnlich wie unsere nichtmenschlichen Mitgeschöpfe, die sich in einem Spiegel nicht erkennen und auf Drohmodus schalten. In dem Fall per Anwalt – aber lest selbst, liebe Leser:

Einer, der die Gedankentöterknarre aktuell mit “Dum-Dum-Geschossen” durchgeladen hat, ist Xavier Naidoo. Paradoxerweise jemand, der für sich selbst als “kämpferischer Systemkritiker” die “Meinungs- und Kunstfreiheit” einfordert, nach der er als “kritischer Mensch” auch “nicht-massentaugliche” Äußerungen von sich geben will.

Der ganze, lesenswerte Text hier: www.rheinneckarblog.de

 

Verschwörungstheoretiker sind fast immer Antisemiten. Das ist keine Pauschalisierung, sondern systemimmanent. Wer Verschwörungsfan ist, sucht einfache Erklärungen. Die einfachste sind in unserem Kulturkreis „die Juden“. Das ist bewährt und man muss dabei nicht groß denken, womit die Anforderungen an eine übliche Verschwörungstheorie fast zu 100% erfüllt sind. Xavier Naidoo ist ein Antisemit, ein lupenreiner. Die Belege dafür sind zahlreich und eindeutig.

Das muss man einfach so feststellen, auch ohne daraus größere Forderungen abzuleiten oder über Ursachen zu spekulieren. Wir rufen weder zu einem Konzertboykott auf, noch dazu, dass er seine Ansichten nicht mehr zum Besten geben darf. Aber man muss es einfach sagen und wissen.

Differenzieren ist gut. Aber dort weiter zu differenzieren, wo es nichts mehr zu differenzieren gibt, ist Feigheit.

 

Zum Weiterlesen:

GWUP:  Xavier Naidoo will kein Antisemit und kein Reichsbürger sein und zieht vor Gericht

GWUP: Udo Lindenberg: Xavier Naidoo singt nicht bei Soli-Konzert für Flüchtlinge in Berlin

Indymedia: Reichsbürgeraktivist Xavier Naidoo erpresst Medien und antifaschistische Stiftung

Viele weitere Links zum Thema finden sich im GWUP-Blog

 

Glyphosat, die BOKU und der Regenwurm

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Kein von Monsanto gezüchtetes Monster, sondern ein Riesenregenwurm aus Ecuador

Kein durch Glyphosat mutiertes Monster, sondern ein Riesenregenwurm aus Ecuador

Aktuell tobt geradezu eine mediale Schlacht um eine einzelne Substanz, die als Symbol für alles Widernatürliche und Schädliche herhalten muss: das Glyphosat.

Ein Molekül als Bösewicht

Das Unkrautmittel (Totalherbizid), das einst von Monsanto als Roundup auf den Markt gebracht wurde, heute aber aufgrund ausgelaufener Patente meist von anderen Herstellern und Vertreibern vermarktet wird, muss EU-weit bis Ende des Jahres neu zugelassen werden. Kann diese Zulassung verhindert werden, so wäre das ein Sieg für alle Ideologen, die eine Welt ohne künstliche Substanzen wollen und vor allem für alle Gentechnikgegner, ist das Glyphosat doch auch ein Sinnbild einer modernen Pflanzenbaumethode.

Einigen Nutzpflanzen wurde ein Resistenz-Gen eingebaut, so dass diese eine Herbizidbehandlung überleben, während störende Unkräuter vom Acker verschwinden. Prinzipiell sind gentechnisch modifizierte Pflanzen in der EU zwar zugelassen, werden aber mit sehr wenigen Ausnahmen nicht angebaut. Glyphosatresistente Pflanzen sind momentan in der EU nicht zugelassen, mehrere Antragsverfahren laufen schon seit Jahren. Nichts desto trotz wird auch hier Glyphosat zur Unkrautbekämpfung verwendet; es gilt als sehr wirksam, für Nichtzielorganismen unschädlich, verlagert sich im Boden kaum (Richtung Grund- und Oberflächenwasser) und ist gut biologisch abbaubar.

Ein Verbot von Glyphosat würde demnach die konventionelle Landwirtschaft auch hierzulande in Schwierigkeiten bringen. Es gibt zwar Alternativen zu Glyphosat, diese haben aber alle Nachteile, was Kosten, Effizienz und Umweltverträglichkeit betrifft. Käme ein Verbot, so wäre dies nicht nur ein Sieg für Ökoaktivisten, Ökoparteien und Ökofunktionäre, es wäre vor allem ein Sieg der Unvernunft, der falschen Tatsachenbehauptungen und der Panikmache. Erst vor kurzem veröffentlichten die Grünen eine eigens in Auftrag gegebene Studie, der zufolge sich Glyphosat in Urin und in Muttermilch einer kleinen Gruppe Parteiangehöriger finden ließ. Abgesehen von den extrem geringen Mengen, die man fand, und der fehlerhaften Methodik, die stark an den Ergebnissen zweifeln lässt, bleibt aufgrund der medialen Inszenierung ein bitterer Nachgeschmack. Auch die kürzliche Einstufung von Glyphosat durch das IARC (einer WHO-Organsation, die die krebserregende Wirkung allerlei Substanzen und Tätigkeiten untersucht) als wahrscheinlich krebserregend kommt vielen Aktivisten entgegen; auch wenn diese Einstufung kaum taugt, um ein Glyphosatverbot zu rechtfertigen.

Studien sollen Schädlichkeit belegen

In die Reihe der schnell noch auf den Markt der Verunsicherung geworfenen Argumentationshilfen, die ein Verbot von Glyphosat fördern sollen, gliedert sich eine – ähm – Studie der Universität für Bodenkultur Wien (kurz BOKU) ein. Die BOKU ist bereits mehrfach durch pseudowissenschaftliche Forschung mit einem Hang zur Esoterik aufgefallen. Dabei wurde die neue Studie sogar im Verlag „Nature Publishing Group“ veröffentlicht. Allerdings nicht in Nature selbst – einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften überhaupt-, sondern in einem sog. Open Access-Journal, in dem die Autoren für die Veröffentlichung zahlen. Die Studie will belegen, dass Glyphosat zum einen das Bodenleben schädige, zum anderen für eine erhöhte Nährstoffauswaschung in die Gewässer verantwortlich sei.

Um die Auswirkungen von Glyphosat auf das Bodenökosystem zu untersuchen, hat man im Laborversuch zwei Arten von Regenwürmern in bepflanzte Kübel verbracht, die Hälfte der Kübel (Gesamtzahl: 36) nach einigen Wochen mit glyphosathaltigen Unkrautvernichtern behandelt und sich dann die Auswirkungen auf sowohl die Regenwürmer als auch auf die Bodennährstoffe angesehen. Um ein Maß für die Aktivität der Regenwürmer zu erhalten, hat man täglich die oberirdischen Ausscheidungshäufchen, die Regenwürmer produzieren, gezählt und gewogen. Sehen wir uns zuerst das Ergebnis mit den Regenwürmern an.

Nachdem man an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die eine Hälfte der Kübel mit dem Unkrautmittel (in unterschiedlichen Formulierungen) behandelt hatte, zeigten sich im Vergleich schon nach mehreren Tagen deutliche Unterschiede zwischen den Behandlungen. Dies aber nur bei der einen Art (Lumbricus terrestris), die andere Art (Aporrectodea caliginosa) zeigte sich unbeeindruckt. Bei den mit Unkrautmitteln behandelten Kübeln stieg nach kurzer Zeit erst die Menge der Kothaufen an (was mit dem nun reichlich vorhandenen Nahrungsangebot aufgrund absterbender Pflanzen begründet wird), um dann signifikant geringer zu werden. Der Unterschied bezieht sich immer auf die Kübel, die nicht mit einem Herbizid behandelt wurde und die demnach weiterhin eine intakte Vegetationsbedeckung aufwiesen. Die primäre Wirkung des Herbizides war erst einmal, die Vegetation der behandelten Kübel zu eliminieren, was natürlich eine Menge weiterer Effekte zu Folge hat.

Die Autoren der Studie folgern voreilig und ohne genaue Prüfung, dass Glyphosat an der abnehmenden Aktivität der Regenwürmer schuld sei. Sie haben aber kein reines Glyphosat, sondern eine bzw. zwei verschiedene anwendungsfertige Lösungen verwendet, die noch eine Reihe weiterer (Hilfs-)Stoffe enthalten. Dazu zählen in der Regel Benetzungs- und Durchdringungsmittelmittel, damit das Glyphosat besser von den Pflanzenorganen aufgenommen werden kann. Diese Stoffe können ebenfalls einen Einfluss auf das Verhalten der Tiere genommen haben. Um das zu kontrollieren, hätte man eine Blindlösung  mit den Hilfsstoffen, aber ohne Glyphosat zur Anwendung bringen müssen. Leider ist das nicht die einzige unwissenschaftliche Vorgehensweise.

Da die mit Herbizid behandelten Kübel nach einiger Zeit über keine aktive Vegetation mehr verfügten (was genau mit den abgestorbenen Pflanzen passiert ist, erfahren wir nicht), sind sie auch nicht mehr mit den Kontrollkübeln (ohne Behandlung) vergleichbar. Man hätte auch in den Vergleichskübeln die Vegetation (inkl. Wurzeln) abtöten müssen, was sicherlich nicht trivial ist, aber für eine Vergleichbarkeit unabdinglich. Das veränderte Verhalten der Regenwürmer könnte man viel plausibler mit einer nicht mehr vorhandenen Vegetationsbedeckung – oder Ähnlichem – erklären. Vielleicht gefällt es Regenwürmern der Art Lumbricus terrestris einfach nicht, unter einer lichten Fläche zu hausen. Es könnte ein Signal sein, den Standort zu wechseln, da er nicht mehr attraktiv ist. Die Würmer in einen kleinen Kübel von nur 40 cm Tiefe zu sperren und ihnen somit ein Ausweichen zu verunmöglichen, grenzt schon an Tierquälerei. Das Übel ist vielleicht vielmehr der Forscher selbst als das böse Glyphosat.

Einen weiteren Effekt hatte das Verschwinden der Vegetation in den Kübeln, den die Forscher auch mit Daten belegen: durch die fehlende Transpiration der Pflanzen wurde der Boden deutlich feuchter, da man alle Kübel während der Untersuchungsdauer mit einer konstanten Bewässerungsrate mit Wasser versorgte. Das könnte ein weiterer Stressfaktor für die Würmer sein. Auch hier gilt: um diesen Faktor als Ursache für ein verändertes Verhalten der Würmer auszuschließen, hätte man eine entsprechende Kontrolle machen, d.h. man hätte die Bewässerung an die neue Verdunstungssituation anpassen müssen. Ob man nicht in der Lage war und ist, wissenschaftlich genau zu arbeiten oder ob man gar nicht daran interessiert war, eine objektive, ergebnisoffene Untersuchung durchzuführen, darüber kann man spekulieren. Die Offensichtlichkeit der methodischen Fehler lässt Letzteres befürchten.

Noch ein paar Bemerkungen zu den Nährstoffen, die sich angeblich durch die Glyphosatbehandlung anreichern. Es wird behauptet, aufgrund des Glyphosateinsatzes reicherten sich bestimmte Nährstoffe (Nitrat und Phosphat) stark im Boden an und könnten dann in die Gewässer gelangen, wo sie unerwünschte Folgen verursachten. Auch hier fehlen wieder wichtige Kontrollen. Ob Nährstoffe eventuell aus dem Präparat stammen, wird gar nicht überprüft, obwohl das naheliegt. Es wird so getan, als ob Glyphosat die einzige Ursache für beobachtete Effekte wäre. Dabei könnte gerade Phosphat aus dem Glyphosat stammen, wenn es mikrobiologisch abgebaut wird. Das Gleiche gilt für das Nitrat, auch wenn es kein direktes Abbauprodukt ist. Es wird argumentiert, die Nährstoffe werden angereichert, weil die abgestorbenen Pflanzen diese nicht mehr aufnehmen können. Eine eigentlich triviale Erklärung, die aber wieder aussagt, dass es die fehlende Vegetationsbedeckung ist, die die beobachteten Phänomene erklärt, nicht das Glyphosat selbst. Es könnte auch an der Methodik selbst liegen, warum man solch hohe Nährstoffwerte findet. Für die Nährstoffanalyse hat man Ionenaustauscher im Boden vergraben, die quasi über den Beobachtungszeitraum die Nährstoffe sammeln. Ist der Boden aber feuchter, so können sich im Boden Nährstoffe besser verlagern und an den Ionentauscher binden. All das hätte man testen können. Es ließen sich noch weitere methodische und logische Fehler nennen, aber lassen wir das. Dass die Studie nicht taugt, um die Aussagen zu belegen, die man gerne belegt haben wollte, sollte auch so schon klar geworden sein.

An der Realität gescheitert

Die in der Studie gemachten Annahmen und Schlussfolgerungen gehen an der Realität der landwirtschaftlichen Praxis völlig vorbei. Sinn eines Herbizides ist es eben, unerwünschte Begleitvegetation abzutöten. Dies hat mit konventioneller vs ökologischer Landwirtschaft nichts zu tun; auch in der ökologischen Landwirtschaft muss Unkraut bekämpft werden. Will man den Einsatz eines Herbizides bewerten, muss man immer auch nach den Alternativen und deren Nebenwirkungen fragen. Verwendet man keine Herbizide, so geschieht die Unkrautbekämpfung auf mechanische Art: durch Umpflügen. Das Pflügen vernichtet (großteils) das im Wachstum befindliche Unkraut, zerstört aber auch das Bodengefüge. Durch die Lockerung wird der obere Boden besser durchlüftet, es kommt zu einer verstärkten Nährstofffreisetzung durch die Mineralisierung der abgestorbenen Pflanzenreste. Der Boden wird angreifbarer für Abtrag (Erosion) durch Wind und Oberflächenabspülung.

All dies muss bei einer Bewertung einer landwirtschaftlichen Praxis berücksichtigt werden. Selbst für die Regenwürmer und andere Bodenlebewesen ist die Alternative „Pflügen“ ungünstig. Pfluglose Unkrautbekämpfung – bei der Glyphosat eine wichtige Rolle spielt – schont den Boden und die darin lebenden Tiere. Ist die Unkrautbekämpfung nur unzureichend – wie oft im Biolandbau – können sich gegebenenfalls giftige Unkräuter auch in der Ernte finden, die unzweifelhaft wesentlich schädlichere Substanzen als das Glyphosat enthalten können. Dazu noch das Thema „Überdüngung durch Nährstoffaustrag“ dem Glyphosat anlasten zu wollen, ist beinahe schon irrwitzig. Die Nitratproblematik ist eine ganz andere und hat mit Pestiziden kaum etwas zu tun.

Glyphosat ist nicht das Teufelszeug, als das es von vielen interessengeleiteten Gruppen dargestellt wird. Sieht man sich die Alternativen an, so schneidet es oft positiv ab. Zudem ist der Stoff schon sehr lange im Einsatz; es gibt unzählige toxikologische und ökotoxikologische Studien, die seine Harmlosigkeit gut belegen. Auch die Auswirkungen auf Regenwürmer muss bei Zulassungsstudien geprüft werden. Sollte es tatsächlich die in der hier besprochenen Studie vermuteten Wirkungen haben, so wäre das in anderen Studien längst aufgefallen. Auch wenn es die Studie mittlerweile geschafft hat, auf Wikipedia die negativen Umweltwirkungen belegen zu wollen, sagt das wenig darüber aus, ob es wirklich so ist. Auch auf Wikipedia gilt: Eine Studie ist keine Studie!

Nachtrag: zeitgleich ist heute noch ein weiterer kritischer Artikel zu der Studie erschienen, der die hiesige Analyse bestätigt. Eine wichtiger Punkt, der hier nicht erwähnt wird: das Roundup-Prärarat „Roundup Speed“ enthält neben Glyphosat noch eine weitere aktive Komponente: Pelargonsäure. Dies in der Studie nicht explizit zu erwähnen, ist kaum verzeihbar. Auch die insgesamt merkwürdige Sprühbehandlung mit mehreren Komponenten erklärt der Autor: da Glyphosat langsam wirkt (in der Regel innerhalb von zwei Wochen) und die Autoren der Studie damit nicht gerechnet hätten, haben sie kurzerhand das Design geändert und mit stärkeren Präparaten gearbeitet. Die Menge der dabei verwendeten Herbizide entspräche dabei etwa dem zehnfachen der empfohlenen Dosis. Auch das wird in der Studie ganz anders dargestellt.

Wir haben unseren Artikel noch um einen Tag ergänzt: Bad Science!

Nobelpreisverdächtige Homöopathen

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Edzard_Ernst_24992t

Prof. Edzard Ernst (wohl jedem bekannt, der schon einmal versucht hat, sich über die „alternative Medizin“ eine Meinung zu bilden) hat sich über den kürzlichen Betriebsunfall der Homöopathen bei der Erkundung neuer Welten so seine Gedanken gemacht und einen Vorschlag unterbreitet. Einer seiner Leser hat ihn ins Deutsche übersetzt; und – hier ist er:

Die Geschichte ist überall zu lesen: Für 29 deutsche Homöopathen endete ein Kongress am letzten Wochenende im Krankenhaus, nachdem sie die starke halluzinogene Droge 2C-E – auch bekannt als Aqua-Rust – eingenommen hatten.

Die Umstände sind etwas unklar und die meisten Medien haben es zumindest zum Teil falsch dargestellt. Die Teilnehmer setzten sich nicht nur aus Homöopathen, sondern auch aus “Heilpraktikern” zusammen – jene Art deutscher Laienheiler, die üblicherweise alle Arten von alternativen Therapien zusammenmischen. Sie haben die Droge genommen – welche genau ist noch nicht bestätigt – und wurden akut krank. Eine große Zahl von Rettungssanitätern und Helfern war vor Ort, um Ersthilfe zu leisten und sie in Krankenhäuser zu bringen, wo sie sich scheinbar immer noch erholen. Die Polizei ist verständlicherweise gespannt darauf, sich mit ihnen zu unterhalten.

Einige Leute haben sich auf Twitter und ähnlichen Kanälen über diese armen Gesundheitsexperten lustig gemacht. Ich denke, das kann kaum als wünschenswert bezeichnet werden und ist sicherlich alles andere als nett. Andere, empathischere Experten denken, dass diese Leute sich an einem Selbstexperiment beteiligt haben. Ich möchte immer das Gute im Menschen sehen, vor allem bei Homöopathen, und mag deshalb diese Vorstellung.

Was, wenn – wie angenommen – diese Leute wirklich eine homöopathische Arzneimittelprüfung von Aqua-Rust vorgenommen haben? In diesem Fall sind sie meine Helden! Nicht nur, weil sie ihre eigene Gesundheit im Namen der Medizin aufs Spiel gesetzt haben, sondern weil sie auch ein wichtiges, ich würde sagen bahnbrechendes neues Heilmittel entdeckt haben.

Homöopathische Arzneimittelprüfungen sind ein Eckpfeiler der Homöopathie. Es ist die Methode, mit der Homöopathen herausfinden, welches Heilmittel für welche Erkrankung bzw. welchen Patienten das richtige ist. Homöopathische Arzneimittelprüfungen laufen folgendermaßen ab: Einige gesunde freiwillige Probanden nehmen ein Heilmittel in hoher Konzentration; anschließend zeichnen sie ihre Symptome genau auf. Diese Symptome ergeben dann das (homöopathische) “Arzneimittelbild” der Substanz. Wenn ein Patient nun über ähnliche Symptome klagt, wird er mit einer starken Verdünnung genau dieser Substanz geheilt. Darum geht es bei der wichtigsten Regel der Homöopathie: GLEICHES HEILT GLEICHES.

Was also haben die deutschen Vorkämpfer letztes Wochenende entdeckt? Sie nahmen das Aqua-Rust (oder was immer die Polizei in ihren Körpern finden wird) und begannen, blühenden Unsinn zu reden. Das ist absolut sensationell! Denn nach den Regeln der Homöopathie kann die Substanz nun stark verdünnt und kräftig geschüttelt werden und wir haben ein Heilmittel… gegen was?

GEGEN HOMÖOPATHIE NATÜRLICH!

Das bei weitem deutlichste Merkmal der Homöopathie ist es, blühenden Unsinn zu reden. Gebt ihnen das neu entdeckte Heilmittel und sie werden davon geheilt. So einfach!

In meinen Augen sollten diese deutschen homöopathischen Helden für den nächsten Nobelpreis nominiert werden: Homöopathie hat die Menschheit seit 200 Jahren heimgesucht und niemand fand bisher ein Heilmittel dagegen. Diese mutigen und engagierten Heiler haben nicht nur ihr Wochenende, sondern auch ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen geopfert, um eines zu finden – und sie haben es geschafft!

Homöopathie wird am Ende nur noch eine Kuriosität der Vergangenheit sein – der Nobelpreis ist wohlverdient, würde ich sagen.

Hier noch einmal der Link zum Originalbeitrag:
http://edzardernst.com/2015/09/will-these-homeopaths-get-the-nobel-prize/
(Dank an Prof. Edzard Ernst und an seinen Leser für die Erlaubnis zur Übernahme).

PETA und die Liebe

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In den USA wird ein Jäger gejagt.

Zimbabwe’s beloved lion Cecil gunned down by American dentist/hunterPETA-Stellungnahme: Simbabwes beliebter Löwe Cecil niedergeschossen von amerikanischem Zahnarzt/Jäger
www.peta.org

beloved? PETA weiß natürlich viel besser, was die Leute in Simbabwe lieben, als diese selbst:

One lion fewer to menace families like mine … Did all those Americans signing petitions understand that lions actually kill people?Ein Löwe weniger, der Familien wie meine bedroht … Begreifen all diese Amerikaner, die Petitionen unterschreiben, dass Löwen wirklich Menschen töten?
www.nytimes.com

Gut, die Simbabwer fragen wir jetzt mal nicht, sondern die „Angehörigen“, eine sichere Bank:

All wild animals are beloved by their own mates and infantsAlle wilden Tiere werden von ihren Partnern und kleinen Kindern geliebt
www.peta.org

Das ist ja nahezu christlich. Liebe Deine Feinde:

Aus Freilandbeobachtungen bei Löwen weiß man, dass ein neuer Rudelführer, der seinen Vorgänger verdrängt hat, häufig alle Jungtiere (also den Nachwuchs seines Vorgängers) tötet.
Wikipedia

Macht nix. Der Jäger wird jetzt schon gehasst. Was können wir da tun, um uns an die Spitze des Mobs zu setzen? Wir schreien: „Aufhängen!“:

… he needs to be extradited, charged, and, preferably, hanged.… er muss ausgeliefert, angeklagt und am besten gehängt werden.
www.peta.org

Moment mal, das ist doch nur eine Verleumdung, PETA macht so was nicht!!!!!!!!!! – Aber was ist denn das?

the official statement from PETA co-founder and President Ingrid Newkirkdie offizielle Stellungnahme von PETA-Mitbegründerin und Präsidentin Ingrid Newkirk
www.washingtonpost.com

Doch.

Da ist einem ja die Mafia sympathischer. Die tun wenigstens nicht so, als wären sie die Guten.

Weit weg? Warten wir’s ab:

In Berlin kann man viel erleben,
In Brandenburg soll es wieder Wölfe geben.
Rainald Grebe

Abenteuer Masern

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Schon immer: Alles Karma.

Sara Koenen hat ein spannendes Abenteuer erlebt, das sie mit einer Wandertour durchs Hochgebirge vergleicht und von dem sie in der Online-Ausgabe der Zeitschrift „Erziehungskunst: Waldorfpädagogik heute“ berichtet. Was war das für ein Abenteuer? Eine Weltumsegelung vielleicht? Nein: Die Masern.

Nun hatte Frau Koenen allerdings nicht selbst die Masern. Die hatte sie bereits mit 16, und leider kann jeder Mensch nur einmal in seinem Leben in den Genuss dieses „Abenteuers“ kommen. So ganz genossen scheint sie es allerdings nicht zu haben:

Als wohl meine schwerste Krankheit habe ich sie in Erinnerung, gefühltes wochenlanges Fieberdelirium erinnere ich, in welchem ich im Geiste jeden Spruch, jedes Gedicht, das ich auswendig wusste, immerzu wiederholte, und das waren einige als Waldorfschülerin.

Viel mehr hatten ihre drei Kinder die Masern. Das hatte natürlich wiederum den Vorteil, dass Frau Koenen die Unannehmlichkeiten einer eigenen Erkrankung erspart blieben.

Dass Masern nicht angenehm und auch nicht immer harmlos sind, ist ihr nämlich durchaus bewusst:

Bei den Masern beginnt nach einer Inkubationszeit von ca. zehn bis elf Tagen das Vorstadium mit Schnupfen, Husten, Bindehautentzündung, mäßigem Fieber. Nach einer kurzen Entfieberung folgt das sogenannte Exanthem Stadium mit sehr hohem Fieber und einem Ausschlag, der hinter den Ohren beginnt und sich vom Kopf über den ganzen Körper ausbreitet und zusammenfließt. Dieser »gemaserte« Ausschlag, befällt jetzt auch alle inneren Schleimhäute, es kann daher zu Begleiterkrankungen kommen wie Mittelohrentzündung, Bronchitis, Lungenentzündung und – sehr selten, aber besonders gefürchtet, – Hirnhautentzündung. Verläuft alles komplikationslos, ist man nach etwa fünf Tagen über den Berg, muss sich dann noch eine Woche körperlich schonen und für etwa vier Wochen mit einem geschwächten Immunsystem rechnen.

Und was, wenn nicht alles komplikationslos verläuft? Wenn es gar zur besonders gefürchteten Hirnhautentzündung kommt? Nun, dann hat man wohl einfach Pech gehabt. Oder vielmehr: Es lag halt am Karma.

Noch vor ein bis zwei Generationen galten die Masern als eine normale Kinderkrankheit: Ein Baby war im ersten Lebensjahr durch den von der immunen Mutter weitergegebenen Nestschutz noch gut geschützt, die meisten Kinder erkrankten im Laufe ihrer Kindheit dann an den Masern. […] In ihren Ratgebern schrieben Ärzte, es seien bei ausreichend Ruhe und Pflege keine Komplikationen zu erwarten, und auf Grund der regelmäßig auftretenden Epidemien konnten die Menschen ihren Schutz immer wieder auffrischen (boostern).

Kinderkrankheiten heißen nicht so, weil sie keine „richtigen“ Krankheiten und somit harmlos sind, sondern weil sie vor allem Kinder betreffen und früher, als es noch keinen Schutz in Form von Impfungen gab, auch einen Großteil der Kinder betroffen haben. Und sicherlich gab es in der „guten alten Zeit“ weitaus gefährlichere Krankheiten, neben denen die Masern vergleichsweise harmlos wirkten. Die Kinderlähmung beispielsweise, die zu schweren dauerhaften Behinderungen verursachen kann, oder noch früher die Pocken, die nicht selten zum Tod führten. Die Pocken sind weltweit ausgerottet, und die Kinderlähmung spielt zumindest hierzulande keine Rolle mehr. Wie wurde das erreicht? Durch Impfungen!

Das heißt aber nicht, dass die Masern völlig harmlos sind. Insbesondere die von Frau Koenen erwähnte mögliche Hinhautentzündung kann zu schweren, bleibenden Schäden und auch zum Tod führen. Auch wenn diese Komplikation vergleichsweise selten ist, ist es doch völlig unsinnig, ein Kind unnötig diesem Risiko auszusetzen.

Unser Kind kommt auf die Welt und wir machen uns viele Gedanken, wie es uns gelingen kann, gute Eltern zu sein. Wir müssen wichtige Entscheidungen treffen. Eine solche Entscheidung ist die Impf-Entscheidung. Viele Eltern lassen ihr Kind impfen, und sind davon überzeugt, dass es gut ist. Andere lassen es bewusst nicht impfen.

Ja, es ist wahrlich eine schwere Entscheidung: Soll ich mein Kind einer Krankheit aussetzen, die auf jeden Fall unangenehm und schmerzhaft ist und im schlimmsten Fall zu bleibenden Schäden oder gar zum Tod führt? Oder sollte ich doch lieber darauf verzichten?

Frau Koenen hat, sicherlich nach langem Überlegen und Abwägen der diversen Vor- und Nachteile, diese schwere Entscheidung höchst bewusst getroffen:

Nun, ich habe als meine Kinder klein waren bereits eine bewusste Impfentscheidung getroffen, gegen die Masern-Mumps-Röteln Impfung. Das heißt im Umkehrschluss für die Krankheit.

Als nun ihre Tochter Maya bei ihrer Freundin Edda übernachtet, deren Bruder Tom die Masern hat, ist eigentlich klar, was kommt. Doch vorher werfen wir noch einen Blick auf die kleine Edda:

Eddas Mama bleibt keine Zeit sich lange zu entscheiden. Ihren kranken Sohn vor Augen lässt sie Edda schweren Herzens impfen. […] Dann wird Edda krank. Trotz Impfung. Eddas Mama ist froh und erleichtert, dass Edda sich entschieden hat, doch noch die Masern richtig durchzumachen.

Ja, richtig gelesen: Eine Mutter, die sich freut, dass ihr Kind krank ist! Kann sie ja auch guten Gewissens, da sich Edda doch selbst „entschieden“ hat, krank zu werden … (Hier zeigt sich wieder die für Anthroposophen und Esoteriker so typische Einstellung: Wenn es dir schlecht geht, bist du selbst schuld, denn im Grunde deiner Seele hast du es ja selbst so gewollt.)

Nun erstmal ein wenig erbauliche Literatur:

Im wöchentlichen Lesekreis arbeiten wir uns durch Rudolf Steiners »Offenbarungen des Karma«. In dem Vortragszyklus geht es um den Sinn und die Bedeutungen, die einzelne Krankheiten in der Biographie eines Menschen ausmachen. Welche Einflüsse, Verhaltensweisen und Eindrücke aus vergangenen Inkarnationen können sich in welcher Krankheit zeigen?

Wenn man natürlich glaubt, dass Krankheiten einen Sinn haben und aus früheren Inkarnationen herrühren, dann ist es kein Wunder, dass man sich über die Krankheit der eigenenen Kinder freut. Erhalten sie doch die wunderbare Gelegenheit, an ihrem Karma rumzuwerkeln!

Jetzt endlich kann aber das Abenteuer für Frau Koenen beginnen, oder eher für Maya und ihre beiden kleinen Schwestern.

Wir warten ab. Ich spreche mit dem Arzt, der Tom, zu Hause begleitet. Er sagt einen Satz, der mich nachhaltig beeindruckt: »Masern durchmachen ist wie in die Berge gehen.« Ich denke nach. Wie ist es, in die Berge zu gehen? Es ist ein steiniger Weg, der zum Gipfel führt, anstrengend und mühevoll, ein schmaler Grat. Mit Ehrfurcht erfüllt mich der Berg. Manche sind umgekehrt. Manche haben es nicht geschafft. Jeder Atemzug, jeder Schritt, kann schmerzen, kann sich aber auch lohnen. Wenn ich den Gipfel erreicht habe: welch ein Triumpf! Ich habe es geschafft!

Ja, so ein Abenteuer ist eine tolle Sache. Und wenn es manche „nicht schaffen“, wird es doch gleich noch viel abenteuerlicher! Was kann also schöner sein als so eine Bergwanderung?

Natürlich gemütlich im Tal zu sitzen und dabei zuschauen, wie die eigenen Kinder ihren Weg durch die Berge finden müssen. Ab und zu kann man sie ein bisschen anfeuern, oder sie bei passenden Gelegenheiten bemitleiden: „Oh, schon wieder eine Lawine! Die armen, armen Kinder!“ Und diese Spannung! Erreichen sie den Gipfel? Wenn ja, kann man irre stolz auf sie sein. Und wenn nicht? Nun ja, manche schaffen es halt nicht.

Wenn die Kinder krank sind, ist es natürlich ähnlich spannend: Überlebt mein Kind? Und wenn ja, bleiben vielleicht doch dauerhafte Schäden zurück? Nur wenn es manche „nicht schaffen“, kommt echte Spannung auf!

Meine drei Mädchen haben alle drei die Masern durchgemacht. Ich durfte sie begleiten auf ihrem Weg durch die Berge. Wie sie sich weigerten, krank zu sein, leugneten, die Masern zu haben. Wie sie sich dann der Krankheit hingaben, zum ersten Mal in ihrem Leben, so hohes Fieber entwickelten. Wie der Vertretungsarzt kam und sie zu dieser Fähigkeit beglückwünschte und uns Wegweiser war im Vorstadium mit den gut unterstützenden anthroposophischen Medikamenten Belladonna, Meteoreisen und Agropyron.

Ich kann’s mir bildlich vorstellen: „Gut macht ihr das! So hohes Fieber, das schafft nicht jedes Kind! Aber wenn ihr euch ganz doll anstrengt, gehen bestimmt noch ein paar Grad mehr!“ Was ist das für ein Arzt, mag man fragen. Aber die verordneten „Medikamente“ beantworten diese Frage: Einer, der sich der anthroposophischen „Medizin“ verschrieben hat!

Für die kleine Maya läuft das Abenteuer allerdings nicht so gut:

Am Abend ist es soweit. Ich bin in eine Lawine geraten, Maya entgleitet mir, ich habe keine Idee, wohin ich den nächsten Schritt setzen kann. […] Ich organisiere den Krankentransport. […] Der Krankenwagen kommt mit zwei Männern im kompletten Seuchenkostüm, Ganzkörperanzug, Mundschutz, Überschuhe, Handschuhe. Während mein Fieberthermometer 39,6 zeigt, misst das Ufoteam 40,3. Das ist ein Unterschied. Hatte sie also die ganze Zeit so hohes Fieber? Ich bin ein Stück weit froh, dass ich vor diesem Wissen geschützt war und auch, dass wir jetzt in die Nähe eines Arztes kommen.

Ja, wenn es schief geht, dann ist es auf einmal doch ganz praktisch, wenn man den Notdienst rufen kann. Was einen nicht davon abhalten muss, sich über das „Ufo-Team“ zu amüsieren, das wegen einer „Kinderkrankheit“ so ein Brimborium macht. Und was ein Glück, dass Frau Koenen nicht vorher mitbekommen hat, wie krank ihre Tochter wirklich ist. Nicht, dass sie womöglich noch ein schlechtes Gewissen oder so bekommen hätte!

Die Ärzte erfreuen sich an den schönen sich ihnen präsentierenden Masernbildern. Alle kommen zur Visite, es wird deutlich, dass die Masern selten geworden sind, ehrfurchtsvoll und mehr oder weniger in die obligatorischen Schutzkleider gehüllt, stehen sie alle vor den Betten, vom Chefarzt bis zum Praktikanten, begutachten die Verläufe und können wunderbar vergleichen. Da wird auch mal fotografiert.

Ja, da kann man als Mutter schon stolz sein. Ein so schön krankes Kind hat wirklich nicht jeder!

Glücklicherweise überstehen sowohl Maya als auch ihre beiden Schwestern die Krankheit unbeschadet. Anfang der Osterferien hat sie begonnen, erst Anfang der Pfingstferien „sind sie wieder ganz in ihrer Kraft“ und halten den Schulalltag wieder durch.

Unser Arzt, aus dem Urlaub zurückgekehrt, nimmt mich zur Seite und sagt: »Jetzt mal ehrlich, es war doch nicht so schlimm, oder? Da wird doch in den Medien völlig übertrieben! Die Gefährlichkeit der Masern wird überbewertet. Komplikationen gibt es nur, wenn falsch behandelt wird. Also ich hatte überhaupt keine Bedenken.«

Komplikationen gibt es also nur bei falscher Behandlung. Stirbt dein Kind, bist du selbst Schuld, hast es ja nicht richtig behandeln lassen …

Nun aber zur wichtigsten Frage überhaupt:

Und was sagt Dr. Steiner?

Glücklicherweise weiß Frau Koenen als ehemalige Waldorfschülerin und gute Anthroposophin auch darauf die Antwort:

»Es gibt keine Möglichkeit, der Krankheit zu entkommen, wenn man die Gesundheit haben will. Jede Möglichkeit, sich gegen die äußeren Einflüsse stark zu machen, beruht auf der Möglichkeit, Krankheit zu haben, krank zu sein. So ist die Krankheit die Bedingung der Gesundheit. (…) Wollen wir die Stärke, die Gesundheit, dann müssen wir ihre Vorbedingung, die Krankheit, mit in Kauf nehmen. Wollen wir stark sein, dann müssen wir uns gegen die Schwäche schützen, indem wir die Schwäche in uns aufnehmen und in Stärke verwandeln.«

Wenn natürlich der große, allwissende Oberspinner, äh, Philosoph Steiner gesagt hat, dass man der Krankheit nicht entkommen darf, um gesund zu sein, dann sind Impfungen natürlich Pfui-Bäh – wer könnte daran zweifeln?

Die Gesellschaft fordert uns geradezu auf, der Krankheit keinen Raum zu lassen. Mütter gehen arbeiten und Kinder in die Kita. Eine mehrwöchige Krankheit ist da nicht vorgesehen.

Ja, schlimm diese Gesellschaft heutzutage! Da möchte man endlich mal wieder so richtig schön lange richtig schön krank sein, und die böse Gesellschaft will einem das einfach nicht gönnen. Wie gemein!

Ist es nicht so, dass etwas in uns bisweilen die Zeit und den Raum benötigt, sich wieder ganz in uns selbst zurückzuziehen, neu zu werden und mit frischer Kraft die nächsten Schritte zu tun? Es ist schon gut, wenn es uns gelingt, täglich etwas Zeit zu haben um wieder neue Kraft zu schöpfen, sei es durch Meditation, Sport oder Mußezeit wie einfach ein Spaziergang durch die Natur […]. Oft jedoch sind wir einfach im Hamsterrad gefangen, Alltag, Arbeit, Wochenendaktivitäten und Ferienprogramm.

Was könnte da erholsamer sein als eine möglichst langwierige, schwere Krankheit? Ich kann mir jedenfalls nichts Entspannenderes vorstellen, als wochenlang krank im Bett zu liegen, wobei es mir dann so richtig beschissen geht. Da ist es doch nur natürlich, dass eine Mutter so etwas auch ihrem Kind wünscht!

Jedenfalls bin ich meinen Kindern überaus dankbar für diese Masernzeit. Es war eine besondere, intensive Zeit. Und ein großes Innehalten. Zeit, die meine Kinder und mich, auch durch das pflegerische, wieder näher zueinander gebracht hat. Unsere Beziehung hat sich vertieft, in diesem für eine Weile von der Welt abgeschlossenen Zusammenseins, vergleichbar nur mit dem Wochenbett. Ich habe es wie einen Segen empfunden, der uns sicher durch die nächsten Jahre tragen wird.

Für die Kinder war es vielleicht schrecklich, aber die Mama hatte das schöne Gefühl, sich kümmern zu können. Und darauf kommt es schließlich an, oder?

Und ich werde nicht vergessen, wie Maya ganz oben auf dem Gipfel des Fiebers aus tiefstem Herzen zu mir sagte: »Mama! Wenn ich mal Kinder habe, dürfen sie auch die Masern bekommen!« Und ich hoffe sehr, dass sie und ihre Kinder diese Freiheit haben werden.

Ob Maya wohl, als es ihr wieder gut genug ging, um klar zu denken, immer noch der Ansicht war, dass Masern etwas so Tolles sind?

Die hier geforderte Freiheit, Masern zu bekommen, geht allerdings noch nicht weit genug, finde ich. Wie wäre es mit der Freiheit, gegen einen hungrigen Löwen zu kämpfen? Diese Freiheit wird Kindern hierzulande immer noch viel zu selten gewährt. Die Mutter könnte währenddessen außerhalb des Löwenkäfigs zuschauen und mit ihrem Kind mitfiebern. Sollte es überleben, macht es bestimmt einen enormen Entwicklungssprung. Und wenn nicht … Nun ja, wie gesagt: Manche schaffen es nicht. Aber das ist bestimmt irre gut fürs Karma und deshalb gar nicht so schlimm …

Abschließend noch eine Bitte: Liebe Frau Koenen, wenn Sie Krankheiten als eine Art Abenteuer verstehen, ist das natürlich Ihr gutes Recht. Die Masern hatten Sie zwar schon, aber keine Sorge, es gibt noch unzählige andere Krankheiten, mit denen Sie sich zwecks Abenteuer infizieren können. So eine Salmonellen-Infektion geht beispielsweise recht einfach und ist bestimmt auch irre abenteuerlich. Aber bitte, bitte, lassen Sie dabei künftig ihre Kinder außen vor! Die können nämlich noch nicht selbst entscheiden, ob sie diese Art „Abenteuer“ auch so toll finden wie Sie. Ebenso wenig wie sie entscheiden können, ob sie das Risiko eingehen möchten, sich ohne jegliche Planung und passende Ausrüstung einen Weg durchs Hochgebirge zu bahnen.

Über dieses „Abenteuer“ berichteten übrigens bereits Bernd Harder im GWUP-Blog und merdeister bei den „Ausrufern“.

Zur Flüchtlingsproblematik

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Im Psiram-Forum hat der Benutzer „Ladislav Pelc“ vor ein paar Tagen einen Beitrag zum momentan sehr aktuellen Thema Flüchtlinge geschrieben, der aus unserer Sicht so lesenswert ist, dass wir ihn (natürlich mit Zustimmung des Verfassers) hier im Blog veröffentlichen möchten:

Ich habe mir seit einer Weile Gedanken über das Thema Flüchtlinge gemacht, da es mir zunehmend Sorgen macht. Es ist schwer, dieses Thema zu diskutieren, da es nur zwei Standpunkte zu geben scheint: Entweder links „kein Mensch ist illegal“, also Grenzen auf und alle reinlassen – oder rechts die Einstellung, bloß keinen reinlassen, weil es eh nur Wirtschaftsflüchtlinge sind, die zu faul sind, um zu arbeiten und lieber „uns“ auf der Tasche liegen, und/oder weil sie eine fremde Kultur haben, nicht hier her gehören und sowieso nur Ausländer sind (wobei das noch freundlich ausgedrückt ist: letztens erst durfte ich mir die Formulierung „schlimmer als Tiere“ anhören). Dazwischen scheint es nichts zu geben. Und wenn man versucht, das Problem etwas differenzierter zu betrachten, läuft man Gefahr, sehr schnell in eine Ecke gedrängt zu werden. Da es hier jetzt doch wieder etwas „entspannter“ geworden ist, will ich es dennoch versuchen.

Leider bin ich aber zu keiner wirklich akzeptablen Lösung des Problems gekommen; das Ergebnis des Nachdenkens ist bei mir in erster Linie das Gefühl tiefer Hilflosigkeit.

Denn so wenig ich an sich für die Linken übrig habe, eigentlich haben sie ja Recht: Das sind genauso Menschen wie wir. Warum sollten wir da das Recht haben, hier zu leben, sie hingegen nicht? Das gilt natürlich insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Lebensumstände da, wo sie herkommen, dermaßen schlecht sind, dass sie alles, was sie haben, aufgeben und eine lebensgefährliche Flucht unter teils unvorstellbar schrecklichen Bedingungen auf sich nehmen, nur um hierher zu kommen. Und da soll man diesen Leuten sagen: Sorry, geht halt zurück, wo ihr hergekommen seid? Was können sie dafür, dass sie das Pech hatten, beispielsweise in Syrien auf die Welt gekommen zu sein statt hierzulande? Sollten wir nicht gerade, weil wir das unverschämte Glück haben, in einem Land zu leben, das weder von einem brutalen Diktator terrorisiert wird noch im Bürgerkrieg versinkt, dieses Glück mit jenen teilen, die es selbst nicht haben?

Selbst die „Wirtschaftsflüchtlinge“, bei denen eigentlich keine Zweifel bestehen, dass sie wieder abgeschoben werden sollen, sind ja denke ich meist keine Leute, die zu faul zum Arbeiten sind und daher denken: Gehe ich nach Deutschland und liege dem Sozialsystem auf der Tasche; ebenso wenig kommen die meisten wohl hierher, um das große Geld zu machen. Ich denke, das sind nicht immer, aber doch wohl meistens Leute, die einfach nur ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie bestreiten wollen, was bei ihnen zu Hause nicht gesichert ist. Auch wenn sie nicht politisch verfolgt oder unterdrückt werden, ist es doch eigentlich unsere Pflicht, auch diesen Menschen zu helfen. Je nach den Umständen vielleicht sogar noch mehr, als den politisch Verfolgten. Denn wenn jemand flüchten muss, weil er sich für die Opposition eingesetzt hat, könnte man ja sagen: Selbst Schuld, hättest du halt die Klappe gehalten und brav vor der Regierung gebuckelt. (Womit ich nicht sagen will, dass ich das so sehe.) Aber was sagt man einem, der nicht weiß, wie er seine Kinder ernähren soll, weil er da, wo er herkommt, gar keine oder keine ausreichend bezahlte Arbeit findet und Sozialsysteme entweder gar nicht oder nur auf dem Papier existieren?

Eigentlich müsste es offensichtlich unsere Pflicht sein, die Grenzen zu öffnen und alle, die hier her kommen wollen, mit offenen Armen willkommen zu heißen! Schlimm genug, dass sie gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, da sollen sie es doch wenigstens hier gut haben.

Nur leider ist das kein gangbarer Weg. Denn wo sollen all diese Menschen hin, und wovon sollen sie leben? Es herrscht ja jetzt schon Überforderung bei den zuständigen Stellen! (Gut, daran ist auch mit Schuld, dass sich Bund, Länder und Gemeinden gerne gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, und auch auf der europäischen Ebene eine vernünftige Zusammenarbeit an den Einzelinteressen der Kleinstaaterei scheitert.) Das Problem ist so offensichtlich, dass man es meiner Meinung nach nur dann ignorieren kann, wenn man entweder das Denken einstellt, sobald die Ergebnisse des Denkprozesses unangenehm werden, oder aber indem man völlig naiv davon ausgeht, dass ohnehin alle denkbaren Probleme verschwinden, sobald man nur das böse kapitalistische „System“ beseitigt hat. (Es ist natürlich eine schöne Vorstellung, dass man, wen man erst mal den kapitalistischen Supermarktbesitzer an die Wand gestellt hat, alles bekommt, was man nur will, weil man dann beim Einkaufen nichts mehr bezahlen muss und sich somit alles leisten kann …)

Wohnraum mag sich schaffen lassen, wenn auch nicht von jetzt auf gleich. Aber Arbeitsplätze stehen nicht genügend zur Verfügung, insbesondere da die meisten Flüchtlinge vermutlich über kaum Qualifikationen verfügen, oder jedenfalls nicht über solche, die hier gefragt sind. Und die Kapazitäten der Sozialsysteme sind irgendwann auch begrenzt. Sicher, irgendwann würde sich ein Gleichgewicht einstellen: Sobald es hier irgendwann nicht besser ist als in den Heimatländern der Flüchtlinge, haben sie keinen Grund mehr, hier her zu kommen. Aber das will, denke (und hoffe) ich, auch keiner.

In der Praxis käme und kommt es allerdings weit vorher zu gesellschaftlichen Problemen. Die Leute wollen kein „Asylanten“heim, jedenfalls nicht in ihrer Gegend. Nicht alle Leute natürlich, je nach Region nicht einmal unbedingt die meisten, aber doch viele. Natürlich kann man sagen: Das sind alles Rechte, die Vernunft annehmen und erkennen können, dass das Menschen sind wie du und ich, und dass man die genauso gut als Nachbarn haben kann, wie sonst irgendjemanden. Aber ich denke, es ist doch wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, warum das so ist. Und ich denke, es gibt da mehrere Gründe:

Erstens einen, den ich für durchaus berechtigt halte, und der, so ungerne ich es zugebe, dazu führt, dass ich auch nur höchst ungerne neben einem Flüchtlingsheim wohnen würde: Da ist ein ganzer Haufen Leute, die ihr Land fluchtartig verlassen mussten, dabei vielleicht Familienangehörige verloren oder gar sterben gesehen haben und wer weiß was noch Schlimmes erlebt haben und nun in einem fremden Land gestrandet sind, dessen Sprache sie nicht sprechen, dessen Kultur ihnen fremd ist und in dem sie niemanden kennen. Die ersten Tage werden die meisten einfach nur dankbar sein, dass sie sowohl der Unterdrückung in ihrer Heimat entkommen sind als auch die katastrophale Flucht überstanden haben, und sie hier nun endlich ein Bett, ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen bekommen. Aber auf Dauer hält es der dankbarste und genügsamste Mensch nicht aus, einfach nur aus dem Fenster zu schauen, nichts zu tun und abzuwarten, wann was passiert, falls überhaupt etwas passiert. Sie dürfen nicht arbeiten, sie können nicht wirklich was unternehmen, um sich abzulenken – und über allem schwebt die Frage, ob man Asyl bekommt oder ob man doch zurück muss in die Hölle, aus der man geflohen ist. Dazu kommt noch, dass so ein Flüchtlingsheim in aller Regel nicht gerade großzügig geplant und oftmals zudem noch überbelegt ist. Man hockt sich also Tag und Nacht auf der Pelle. Wenn man Glück hat, sind die anderen alle aus dem gleichen Land, vielleicht aus der selben Region, sprechen die gleiche Sprache und haben ein ähnliches Schicksal. Dann kann man sich wenigstens mit denen austauschen. Aber auch dann sind immer einige darunter, mit denen man sich nicht versteht. Und es sind immer auch ein paar Arschlöcher dabei, denn Arschlöcher wachsen auf jedem Boden. Schlimmstenfalls sind die anderen von überall her und sprechen anderen Sprachen, oder gehören womöglich gar einer Gruppe oder einem Volk an, mit dem man schon in der Heimat im Konflikt lag. Man kann sich ausmalen, dass das nicht auf Dauer gut gehen kann. Das ist aber nicht nur für die Flüchtlinge auf Dauer nicht wirklich menschenwürdig, sondern zieht auch die Umgebung potentiell in Mitleidenschaft. Denn so ein Flüchtlingsheim ist ja kein Hochsicherheitsgefängnis, wo keiner rauskommt und wo außen keiner merkt, ob es innen Konflikte gibt.

Zweitens ist den Leuten oftmals durchaus bewusst, dass die Sozialsysteme nur begrenzt belastbar sind und die Mehrkosten von der Allgemeinheit getragen werden müssen, sei es nun direkt durch Steuern usw., oder indirekt, weil dann an anderen Stellen gespart werden muss. Die „kleinen Leute“ trifft das meist am härtesten. Das führt natürlich zu Unmut, auch wenn die Flüchtlinge selbst in aller Regel nichts dafür können.

Drittens bin ich der Ansicht, dass Menschen (leider) von Natur aus zum Rassismus neigen, natürlich individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Man könnte jetzt spekulieren, ob es dafür evolutionäre Ursachen oder dergleichen gibt, oder ob Ausgrenzung womöglich aus gruppendynamischen Gründen wichtig für den Zusammenhalt nach innen ist, doch das würde hier den Rahmen sprengen. Das soll auch keine Rechtfertigung sein; jeder ist selbst dafür verantwortlich, ob er dieser Neigung folgt. Aber es erklärt vielleicht, dass den „Ausländern“ gegenüber Unsicherheit, Angst, Misstrauen und schließlich Abneigung bis hin zum Hass entsteht.

Viertens ist auch sicherlich eine gewisse Portion Neid dabei: „Wir“ müssen hart arbeiten, um ein Dach über dem Kopf und was zu Essen zu haben, und „die“ bekommen das einfach alles umsonst! Natürlich ist es nicht fair, das so zu sehen, denn ich denke, dass kaum jemand wirklich mit einem Flüchtling tauschen wollen würde. Unter Lebensgefahr aus der Heimat fliehen, um dann in der Fremde irgendwo in einem überfüllten Heim hausen zu dürfen, ist sicher nichts, was man erleben möchte. Und ich denke, viele Flüchtlinge wären prinzipiell bereit, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, wenn sie denn dürften und es geeignete Arbeitsplätze gäbe.

Ich denke aber, dass man die Sorgen der Leute ernst nehmen muss, ob sie nun begründet sind oder nicht. Sagt man einfach, ihr dürft euch keine Sorgen machen, sonst seid ihr Nazis, treibt man sie erst recht den Rechten in die Arme, weil die dann die einzigen sind, die zuhören und auch gleich eine „Lösung“ parat haben.

Ich fürchte, das wird auf Dauer nicht mehr lange gut gehen, und es wird nicht bei ein paar Brandanschlägen bleiben. Ich fürchte, bald wird es Tote geben, und nicht nur ein oder zwei. Irgendwann werden ein paar Nazis die besorgte Bevölkerung dazu aufstacheln, ein Pogrom zu veranstalten. Dann versammelt man sich, zieht gemeinsam zum Flüchtlingsheim, zündet das an und schlägt jeden tot, der rausrennt. Hinterher tut es den meisten Leuten schrecklich Leid (oder ist ihnen vielmehr fürchterlich peinlich), auch wenn sie es vielleicht nicht zugeben werden, weil sie sich selbst die Schuld nicht eingestehen wollen. Aber sie machen aus Gründen der Gruppendynamik mit, denn alle anderen tun es ja auch.

Das alles beunruhigt mich, und ich fühle mich wie schon gesagt hilflos. Einerseits ist es unzweifelhaft unsere moralische Pflicht, all diesen Menschen zu helfen. Aber andererseits es gar nicht möglich, mehr als nur (prozentual betrachtet) einigen wenigen zu helfen.

Vielleicht ist das der Grund, warum es nur zwei extreme Meinungen zu geben scheint: Um dieser Hilflosigkeit zu entgehen, kann man sich entweder auf die moralische Pflicht konzentrieren und verdrängen, dass es nicht möglich ist, sie zu erfüllen. Dann landet man bei den Linken. Kein Mensch ist illegal, fertig. Oder man definiert, dass wir den Flüchtlingen gar nicht helfen müssen, weil sie entweder nur Wirtschaftsflüchtlinge sind, die eigentlich gar keine Hilfe nötig haben, oder gar weil es sich nicht um „richtige“ Menschen so wie uns handelt, sondern nur um Ausländer. Dann landet man bei den Rechten.

Da ich mich aber mit beiden Lösungen nicht anfreunden kann, bleibt mir nur die Hilflosigkeit. Und auch etwas Angst vor dem, was noch kommen mag. Was, wenn es irgendwann nicht mehr reicht, die Grenzen zu schließen und Zäune zu bauen, um die Flüchtlinge abzuhalten? Was, wenn wir Soldaten stationieren müssen, die auf jeden schießen, der versucht, über den Zaun zu klettern? Womöglich werden wir irgendwann Menschen erschießen, nur weil sie verzweifelt versuchen, einen Ort zu finden, an dem sie ein menschenwürdiges Leben führen können. Eine schreckliche Vorstellung!

(Entschuldigt diesen überlangen Beitrag, aber ich musste mir das mal von der Seele schreiben.)

Landeshauptstadt München: Gesundheit in guten Händen

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„Willkommen in München Ich möchte Sie in der Landeshauptstadt München ganz herzlich zum Weltkongress der Ethnotherapien und Ganzheitsmedizin begrüßen. Ich freue mich sehr, dass der Kongress zum wiederholten Male in München stattfindet. An den Begrifflichkeiten ist schon erkennbar, dass es in der Schulmedizin vorwiegend um die Behandlung von Krankheit geht, um das Diagnostizieren und Therapieren von Krankheiten. In den letzten Jahren wird in der Gesundheitspolitik der Gedanke der Prävention wieder stärker gefordert, auch die Ganzheitlichkeit und die alternativen Heilmethoden halten Einzug in das Gesundheitssystem, allerdings noch in homöopathischen Dosen. Ich hoffe sehr, dass dieser Kongress dazu beiträgt, die Verbindungen von traditionellen Heilmethoden und der modernen Medizin zu fördern. Es ist in unser aller Interesse, wenn wir die technisierte Medizin, die den Menschen nur bedingt gesund machen kann, erweitern um die Therapien aus der Ethnomedizin.“
 

…könnte wer gesagt haben? Die Lösung: lydia

Lydia Dietrich, Stadträtin, ihres Zeichens zuständige Dezernentin für das Gesundheitsressort im Rat der Landeshauptstadt München.

 An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, dass die TU München sich gerade darin gefällt, als Narhalla eines wunderlichen Pseudomedizinkongresses herzuhalten – das hat der GWUP-Blog bereits aufgespießt.

 

In unserem Beitrag geht es um eine nur scheinbare Randerscheinung dieses Quacksalberfaschings, nämlich um das oben wörtlich zitierte Grußwort der bündnisgrünen Frau Stadträtin zu den Events dieser Veranstaltungsreihe. Was darf der Leser diesen Zeilen entnehmen? In Klartext übersetzt präzise dieses:

 

Liebe MitbürgerInnen, der normale, akademisch ausgebildete Mediziner ist, wie das Gesundheitsdezernat unserer schönen Landeshauptstadt es sieht, eigentlich nur ein besserer Feldscher, der Menschen höchstens „bedingt gesund machen kann“, bestens geeignet zum Zusammentackern grobstofflicher Wehwehchen – eben mehr so der Typ fürs Grobe. Was ist schon eine Onkologie auf dem Stand der Wissenschaft, wenn es doch Trommeln und Magnetschmuck gibt? Wenn’s um unbedingte (?) Gesundheit und Gesunderhaltung geht, sollte sich die Ärzteschaft eine ordentliche Scheibe abschneiden von der uralten Weisheit der Schamanen mit dem Röntgenblick, denen wir zu diesem Ziele freudig die Pforten der akademischen Institutionen auftun.

Danke, Frau Stadträtin, für dieses decouvrierende Statement, das dem Leser genug Gelegenheit gibt, darüber nachzusinnen, ob diese Unverfrorenheit die späte Rache einer frustrierten Krankenschwester an einem schnöseligen Stationsarzt gewesen sein könnte. Das wäre noch die tröstlichste Erklärung. Vermutlich ist es aber mehr als das, die gegenseitige Sympathie scheint mit jedem „Kongress“ tiefer ins Herz gewachsen zu sein:

„Die bekannte und geschätzte Stadträtin Lydia Dietrich wird uns die Ehre geben den Kongress zu eröffnen und die Gäste zu begrüßen.“

…heißt es in der Programmvorschau, in der man auch nachlesen kann, in welcher Umgebung sich die für das Gesundheitswesen der Landeshauptstadt politisch Verantwortliche dann tummeln wird:

„Die Türen zur Gesundheitsmesse öffnen sich Freitag 13.5.2016 um 14 Uhr, es beginnt ein reichhaltiges Program mit spannenden Einführungsvorträgen und -zeremonien. Am Samstag beginnt das Programm um 6:00 Uhr, am Sonntag um 7:30 Uhr mit einem Ritual. Am Vormittag gibt es internationale interdisziplinäre Vorträge und das Open-Healer-Forum…“

…über deren Gegenstand wir lieber den Mantel peinlich berührten Schweigens breiten.

Wie dem auch sei: wir haben uns die Freiheit genommen, das Grußwort so zu korrigieren, dass man es guten Gewissens unterschreiben könnte:

Willkommen in München Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich Niemand möchte Sie in der Landeshauptstadt München ganz herzlich zum mit ihrem sogenannten „Weltkongress der Ethnotherapien und Ganzheitsmedizin“ begrüßen auch nur von Ferne sehen. Ich freue mich sehr Es ist eine Schande, dass der Kongress zum wiederholten Male in München stattfindet. An den Begrifflichkeiten ist schon erkennbar Die Parole, dass es in der Schulmedizin vorwiegend um die Behandlung von Krankheit geht, um das Diagnostizieren und Therapieren von Krankheiten, ist eine Unverschämtheit. In den letzten Jahren wird in der Gesundheitspolitik der Gedanke der Prävention wieder stärker gefordert, auch , wobei die „Ganzheitlichkeit und die alternativen Heilmethoden“ halten versuchen, mit diesen Schlichen Einzug in das Gesundheitssystem zu halten und die Fleischtöpfe der Gelder im Gesundheitswesen zu plündern,  allerdings gottlob noch in homöopathischen Dosen. Ich hoffe sehr, dass dieser Kongress, wenn er schon nicht zu verhindern ist, dazu beiträgt, die Verbindungen grundsätzlichen Unterschiede von zwischen traditionellen Heilmethoden altem und neuem Aberglauben und der modernen Medizin erkennbar zu fördern machen. Es ist in unser aller niemandes Interesse, wenn wir die technisierte moderne Medizin, die den Menschen nur bedingt immer effektiver gesund machen kann, erweitern verwässern um durch die Therapien aus der sogenannten Ethnomedizin.

Sehen Sie, Frau Dietrich, so macht man das.


Sie haben es wirklich getan: Ein Preis für Gilles-Éric Séralini

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Seralini

Die „Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V.“ hat Séralini einen Preis verliehen, den Whistleblower-Preis. Gestiftet war der eigentlich für Menschen, „die auch unter persönlichen Opfern mit Hinweisen auf gesellschaftliche Risiken und Probleme an die Öffentlichkeit gegangen sind, nachdem sie in ihrer eigenen Institution nicht gehört wurden“.

 

Wie jetzt? Séralini wurde in seinem eigenen Institut nicht gehört? Oder er musste seine Ergebnisse, oder was er dafür hielt, klammheimlich dort herausschmuggeln? Welches persönliche Opfer drohte oder hat den wackeren Forschersmann gar ereilt? Haben wir da etwas nicht mitbekommen?

 

quer

Querdenker

Oder hat der eingetragene Verein seine eigenen Kriterien missverstanden? Sollte der Lorbeer generell einmal der queren Denkungsart zukommen dürfen – ohne Rücksicht auf Verluste, nur zum Segen des richtigen Bewusstseins, kleinliche Methodenprobleme und Qualitätsanforderungen einfach mal beiseite gelassen?

 

 

Ja, wenn das so ist, lieber eingetragener Verein, dann lassen Sie uns schon einmal die Kandidatenliste für die nächsten Jahre beschauen – an Anwärtern herrscht dann wahrlich kein Mangel mehr; auf Anhieb fallen uns da noch viele Querdenker ein, die im Kampf gegen die Diktatur des Mainstreams die Tinte nicht halten konnten:

Dr. Andrew Wakefield, für die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Schutzimpfung und Autismus

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Dr. Matthias Rath, für seine verfemten Arbeiten zur Krebsbekämpfung und auf dem Gebiet der orthomolekularen Medizin

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Prof. Dr. Konstantin Meyl, für Verdienste um die Erforschung von freier Energie und Skalarwellen

 

Bert Ehgartner, für die Enthüllung der Todesgefahren beim Gebrauch aluminiumhaltiger Deostifte

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Peter Arthur Straubinger, für die Publikation von Forschungsergebnissen zur Lichtnahrung mit weitreichenden Folgen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt

 

Rechtsanwalt Dominik Storr, für sein Engagement gegen Chemtrails

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Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst, für Einblicke in zölibatär begründete Ersatzbefriedigungsstrategien eines römisch-katholischen Bischofs

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Erich von Däniken, für die Veröffentlichung paläoastronautischer Zeugnisse

 

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Hans Weidenbusch, für die unerschrockenen Arbeiten am Auftriebskapillar-Perpetuum-Mobile gegen den Meinungsterror eines kleinmütigen Patentamts

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Axel Stoll (posthum) für seine Neuschwabenland-Studien

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Christian Anders und Jocelyne Lopez, für die Widerlegung der Relativitätstheorie

andersanders

JLo

 

 

… und natürlich Xavier Naidoo, für die Offenlegung der Tatsache, dass man hinter einer intellektuellen Brille und mit einem gewagten Hütchen ganz trefflich ein reichsdeutsches Spatzenhirn tarnen kann.

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Die Auswahl eines Preisträgers aus dieser Runde hätte ja auch unabweisbare ökonomische Vorzüge: man könnte die Veranstaltung mit der Verleihung des goldenen Bretts zusammenlegen, dann zahlt jeder nur die Hälfte für Getränke und Schnittchen.

 

P.S.: Sollten Ihnen, liebe LeserInnen, noch weitere geeignete Persönlichkeiten einfallen, dann geben Sie sie doch einfach bekannt. Der Verein freut sich bestimmt.

 

P.P.S.: Was in der aufgekochten Debatte um den seltsamen Preisträger etwas untergegangen ist: der Verein hat den Preis im Jahr 2015 auf drei Personen aufgeteilt. Neben Séralini wurden noch ausgezeichnet: Brandon Bryant, ein ehemaliger Drohnenpilot, und, posthum, der NS-verfolgte französische Physiker Léon Gruenbaum.

 Zum Weiterlesen:

SZ: Aktivist statt Whistleblower
Scilogs: Von Pfeifen und heißer Luft – Whistleblowerpreis für Gentechnikkritiker
Ludger Weß: Erinnerungen an die Wirklichkeit – Séralini und die Fakten
Die Achse des Guten: Vereinigung Deutscher Wissenschaftler ehrt Quacksalber

Infomed e.V. in der TU München: Zwei ganz besonders umlegende Highlights

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Wie auch bereits SPIEGEL Online aufgriff, räuchert der Verein Infomed e.V nunmehr an der TU München weiter, wo 2015 ein weiterer „Weltkongress“ stattfand; der für 2016 ist bereits ordentlich in Arbeit und die Webseite des Infomed präsentiert eine Liste der eingeplanten Referenten. Ob der nächste Kongress allerdings wieder an der TU München stattfindet, ist eher unwahrscheinlichWolf Dieter Storl  bleibt ein fester Programmpunkt, da er nach wie vor frühmorgens um 6 Uhr antreten darf, um die Universität auszuräuchern. Warum Storl dies erledigt, wenn doch andererseits als hochkarätige „Schamanen“ angekündigte Referenten zur Verfügung stehen, ist nicht ersichtlich, aber vielleicht haben die Besseres zu tun als sich in aller Frühe aus dem warmen Bett zu quälen.

Bei zwei Referenten findet man sogar Anlass zur Vermutung, dass diese sich womöglich einer erbaulicheren, um nicht zu sagen: erhebenderen Tätigkeit zuwenden, sofern sich eine Chance bietet. Dies wiederum ist allerdings ein Umstand, über den sich insbesondere Teilnehmerinnen am „Weltkongress“ sehr wohl im Klaren sein sollten.

Bei den beiden Referenten handelt es sich um Pablo Russell  und Phillip Scott alias Tsunka Wakan Sapa alias Black Horse. Die Lebensläufe weisen zwar einige Unterschiede auf, aber es bestehen auch eher unschöne Gemeinsamkeiten.

PabloRussel

Pablo Russel

Russell, der sich offenbar mittlerweile auch in einigen Annoncen für seine Seminare „Claude (Pablo) Russell“ nennt („Claude“ ist der Name seines Vaters, der ein geachteter Elder ist), gehört zwar der kanadischen Kainai Nation aus der Blackfoot Confederacy an, ist aber entgegen seinen Behauptungen kein Medizinmann. Er bereist regelmäßig für mehrere Monate im Jahr Europa und verkauft hier indigene Zeremonien sowie Seminare, Workshops, Trainings etc. Aufgrund seiner nicht gegebenen Ausbildung als Medizinmann ist es fraglich, ob Russell überhaupt genügend Kenntnisse über die Zeremonien mitbringt, so dass eine Teilnahme daran durchaus mit Gefahren verbunden sein kann. Das gleiche gilt für den von Russell in Zusammenarbeit mit weiteren, u.a. europäischen Plastikschamanen durchgeführten Sonnentanz in Kanada.

Wie unsere Freunde bei NAFPS (New Age Frauds and Plastic Shamans) ermittelt haben, gab es bei Russell mehrfach Klagen über die Verwendung von Spendengeldern. Russell sagt zwar zu, die Gelder kämen „seinen Leuten“ zugute, sie verbleiben jedoch zumeist in seiner Familie . Andererseits wurden offenbar aber auch zweckgebundene Spenden nicht nur für den angegebenen Zweck verwendet.

Darüber hinaus haben unsere Freunde bei NAFPS ermittelt, dass Russell offenbar regelmäßig sexuelle Beziehungen mit seinen Schülerinnen eingeht, die teils erheblich jünger sind. Er beutet die Frauen sexuell aus und hat mit mehreren auch Kinder, bezeichnet sich aber dennoch stets als alleinstehend und soll diese Frauen insgesamt schlecht behandeln. Nicht gleich geneigte Damen soll Russell mit dem Aufriss zu überzeugen suchen, dies sei deren „einzige Gelegenheit, mit einem richtigen Medizinmann zu schlafen“ .

phillip-scott2Von ähnlichem Kaliber ist Phillip Scott alias Tsunka Wakan Sapa alias Black Horse, der ebenfalls nicht nur den „Weltkongress“ beehrt, sondern auch darüber hinaus „Heilsitzungen“ in Deutschland anbot. Scott ist bereits seit ca. 30 Jahren als Plastikschamane in den USA aktiv. Ursprünglich gab er vor, Cherokee zu sein; hiervon ist Scott allerdings inzwischen abgekommen und bezeichnet sich nur noch als von „mixed heritage“, ohne dies näher auszuführen. Dennoch finden sich noch zahlreiche Webseiten, in denen er als Angehöriger der „Western Band Tsalagi“ beschrieben wird. Es gibt offiziell jedoch keine Ethnie dieser Bezeichnung und alle Google-Resultate zu diesem Suchbegriff führen lediglich zu Seiten, die Scotts frühere Selbstdarstellung wiederholen.

Ein weiterer Warnhinweis ist darin zu sehen, dass Scott zwar behauptet(e), Cherokee zu sein, aber bei Medizinleuten aus mehreren Ethnien gelernt haben will – dies findet sich nur bei Plastikschamanen. Zusätzlich ist als Warnhinweis zu werten, dass Scott Lakota-Spiritualität und Lakota-Zeremonien verkauft und nicht etwa die der Cherokee, und dass er einen Namen in der Sprache der Lakota angibt, aber keinen in der Sprache der Cherokee.

Mindestens in einem Vortrag beim Infomed-“Weltkongress“ hat Scott offenbar auch behauptet, er unterhalte in mehreren Kliniken in den USA Ambulanzen. Gerne dürfen auch seine SchülerInnen Werbung für seine Auftritte als „Heiler“ machen, der „Heilsitzungen für diejenigen [gibt], die ein schwieriges Thema, eine Krankheit oder andere Herausforderungen mit sich herumtragen“; der Einzeltermin umfasste eineinhalb Stunden, pro Stunde war ein „Ausgleich“ von €110 fällig.

Scott bezeichnet sich ebenfalls als „Chief“ (Häuptling) der Lakota. Üblicherweise sollte er daher angeben können, durch wen eine Ernennungszeremonie durchgeführt wurde und wer seine offiziellen Zeugen sind. Wie NAFPS ermittelte, gibt er für die Ernennungszeremonie eine Person an, die gar nicht über entsprechende Rechte verfügt; die von ihm benannten Zeugen sind entweder bereits verstorben oder selbst bekannte Plastikschamanen. Das ist nun doch irgendwie etwas suboptimal, aber der zahlenden Kundschaft unbekannt.

Bei Seminarankündigungen in Europa wird dies nochmals ordentlich hochtoupiert:

Phillip, selbst teilweise indianischer Abstammung (Oklahoma Tsalagi – Cherokee-Stamm), wuchs bei einer traditionell lebenden Lakota-Familie (Sioux) auf. […] Er ist Stammeshäuptling und von seinem Stamm beauftragt, indigene Weisheiten und traditionelle Heilpraktiken mit der Mitwelt zu teilen.

Warum sollte ein Cherokee bei einer traditionellen Lakota-Familie aufwachsen? Müßige Frage: es stimmt ja auch nicht. Ebenso ist er kein „Stammeshäuptling“ und auch nicht von „seinem Stamm“ (welchem jetzt?) zu irgendwas beauftragt. Im Gegenteil sind solche Behauptungen ein sehr sicherer Hinweis auf einen Plastikschamanen.

Bei NAFPS fand man auch auffällig, dass Scott einige Begriffe aufnimmt, die auf Carlos Castaneda zurückgehen, einen der bekanntesten Plastikschamanen und Geschäftemacher. Außerdem wurde die Abschrift eines Vertrags eingestellt, den SchülerInnen von Scott unterzeichnen müssen; im Vertrag wird besonderer Wert darauf gelegt, dass pünktliche Zahlungen höchst erwünscht, Rückzahlungen nicht vorgesehen sind und vor allem Scott eine Stellung als oberste Instanz zuzugestehen ist. Scott vermischt indigene mit keltischer Spiritualität – auch auf seiner Webseite, auf der auch CAM-Praktiken erwähnt werden.

Bei NAFPS eingegangene Erfahrungsberichte ehemaliger SchülerInnen erwähnen, dass Scott seine Anhänger häufig beschimpft und psychische Gewalt ausübt, gelegentlich soll es aber auch zu physischer Gewalt, teils sogar mit Verletzungsfolgen kommen , und Scott soll insgesamt sehr manipulativ mit den SchülerInnen umgehen.
Insbesondere mit Neumitgliedern soll Scott so verfahren, um diese psychisch zu brechen; die SchülerInnen ertragen es häufig, da sie Gebühren im Voraus entrichtet und sich vertraglich verpflichtet haben. Ebenfalls wurde berichtet, dass Scott regelmäßig versucht, Unfrieden zwischen Ehepaaren sowie zwischen Eltern und Kindern zu stiften. Diesen Berichten zufolge soll Scott anfänglich Schüler von Chogyam Trungpa gewesen sein, der höchst kontrovers gesehen wird, da er sexuelle Beziehungen zu vielen Schülerinnen unterhielt und offenbar intensiv dem Alkohol zusprach. Ferner gibt es bei NAFPS Beiträge von Teilnehmern, die von verschiedenen gesundheitlichen Problemen (u.a. Dehydrieren) nach von Scott geleiteten Schwitzhütten berichten. Wie NAFPS aus Berichten erfuhr, soll Scott ebenfalls sexuelle Kontakte zu Schülerinnen unterhalten, obschon seine Lebensgefährtin ebenfalls in seine Geschäftsaktivitäten eingebunden ist; anscheinend legt Scott aber besonderen Wert darauf, sich vornehmlich um gutsituierte Damen zu kümmern und möchte diesen augenscheinlich beim Tragen der schweren Brieftasche behilflich sein.

Scott und Russell wurden wiederholt von Infomed als Referenten eingeladen, so etwa in den Jahren 2014 und 2016 (Scott) bzw. 2013, 2014, 2015 (Russell); Russell war bereits 2006 und 2007 Referent bei Infomed (damals noch Institut EthnoMed). Auch bei sogenannten „Studentenfortbildungen“ und Seminaren des EthnoMed bzw. Infomed traten beide bereits auf.

Da kann man den Infomed e.V doch nur zu seiner sorgfältigen Auswahl der eingeladenen Referenten beglückwünschen – wir haben es eben rundum mit Profis und Hochkarätern zu tun.

Die Kriegsspiele des Daniele Ganser

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Ironie ist nicht immer leicht als solche zu erkennen

Aktuell toben um den sich selbst als Friedensforscher bezeichnenden Daniele Ganser mehrere mediale Schlachten, als deren Feldherr er entweder höchstselbst auftritt oder eifrige Vasallen in die Schlacht schickt. Da ihm beispielsweise sein Wikipedia-Eintrag nicht sonderlich absatzfördernd erscheint, rief er dazu auf, gut belegte Aussagen zu löschen. Mehr dazu in einem sehr lesenswerten Gastbeitrag von Erik Bradley, der ursprünglich von ihm auf Facebook veröffentlicht wurde und dessen Veröffentlichung er uns hier erlaubt hat.

Ungeachtet der wenig schmeichelhaften – und gut belegten – Fakten, die sich in Gansers Wikipedia-Artikel finden, ist er gelegentlich gern gesehener Redner auch im wissenschaftlichen Rahmen. So wurde er erst kürzlich von der Uni Witten/Herdecke zu einem Vortrag eingeladen, der trotz eines hervorragenden offenen Briefes an die Uni nicht verhindert werden konnte. Über den Inhalt der Gruselveranstaltung berichten die Ruhrbarone.

So, nun aber der Gastbeitrag:


Daniele Ganser steht schon seit längerem auf Kriegsfuß mit der Wikipedia, weil ihm die Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“ in seinem Artikel nicht gefällt. In einem Vortrag und einem KenFM-Interview forderte er seine Fans auf, sie sollten bitte immer wieder den Wikipedia-Artikel ändern (in Wiki-Deutsch: einen „Edit-War“ für ihn führen). Das taten sie auch fleißig kurz nach Erscheinen von Gansers Hilferuf im Februar 2015. Solche Aktionen gehen aber bei der Wikipedia recht schnell kräftig in die Hose und enden meist mit einer Kontosperre.

In diese Falle tappte auch ein Biolehrer aus Oldenburg namens Markus Fiedler. Als er auf der Diskussionsseite des Ganser-Artikels mit seinem Lamento zur Ganser-Verteidigung aufschlug, war bereits eine ganze Horde Ganser-Fans durchgetrollt und die Wikipedia-Gemeinschaft längst gründlich genervt von den immer wieder gleichen Strohmann-Argumenten, die sich nur noch im Kreise drehten (wenn man die offizielle 9/11-Theorie bezweifelt, sei man doch kein Verschwörungstheoretiker etc.). So war dann auch Fiedlers Wiki-Leben bereits nach zwei Tagen mit einer Kontosperre beendet, da er nicht Willens war, sich erstmal mit dem bestehenden Diskussionsstand auseinanderzusetzen, anfing, gegen andere User zu trollen und zu drohen. Für Fiedler aber liegt der wahre Grund für seine Sperrung wohl darin, dass er als Abweichler rausgemobbt werden sollte.

Hier kann man nun durchaus kritisieren, dass unerfahrene Wikipedia-Autoren mit den internen Gepflogenheiten der Wikipedia meist überfordert sind und dies häufig zu unnötigen Missverständnissen und schroffer „Abfertigung“ führt. Auch Fiedler erhielt eine Warnung, die er aber nicht dazu nutzte, mal innezuhalten, sondern noch nachzulegen.

Statt nun die eigene Fehlleistung selbstkritisch zu hinterfragen, war für Fiedler klar: hier müssen sich offenbar dunkle Netzwerke gegen ihn und alle anderen „kritischen“ Menschen verschworen haben, um Abweichler mundtot zu machen. Die nächsten acht Monate beschäftigte sich der Biolehrer also mit der Aufdeckung der großen Wikipedia-Verschwörung gegen ihn. Herausgekommen ist ein Film auf KenFM („Die dunkle Seite der Wikipedia“), der natürlich bereits lobend bei RT Deutsch und Nachdenkenseiten erwähnt wurde. Auch im Freitag wurde der Film als sehenswert angepriesen.

Als jemand, der selbst langjährige Wikipedia-Erfahrung hat, habe ich mir das Interview Fiedlers mit Jebsen angeschaut. Ich wollte natürlich wissen, was der Biolehrer mit gerade einmal zwei Dutzend Wiki-Edits da alles so aufgedeckt hat.

Zunächst einmal berichtet Fiedler über die Funktionsweise der Wikipedia. Der Teil strotzt eigentlich nur von groben Fehlern. Ich liste hier einige wesentliche auf:

  1. Fiedler meint, Sichterrechte werden nach Gutdünken von Administratoren vergeben. Das ist falsch. Sichterrechte werden nach einer bestimmten Zeit automatisch vergeben, können aber bereits vorher beantragt werden (dann entscheidet ein Administrator).
  2. Artikel verschieben dürfen auch normale Benutzer, nicht nur Administratoren.
  3. Artikel aus anderen Wikipedias übernehmen dürfen ebenfalls alle normalen Benutzer. Administratoren dürfen jedoch zusätzlich die komplette Versionsgeschichte importieren.
  4. Er behauptet, Administratoren und Bürokraten dürften sich nicht außerhalb der Wikipedia unterhalten. Das ist ja nun der größte Schwachsinn. Es gibt neben diversen Stammtischen auch regelmäßige Konferenzen und Workshops, wo sich Wikipedia-Aktive untereinander austauschen. Warum auch nicht??
  5. Er vergisst neben den Administratoren und Bürokraten viele andere wichtige Funktionen wie Checkuser-Berechtigte (dürfen Server-Logs auswerten, um missbräuchlich verwendete Konten aufzudecken), Schiedsgerichte und Oversighter (dürfen Daten so löschen, dass sie auch Administratoren nicht mehr sehen).

Nun zur Kritik am Ganser-Artikel selbst:

Fiedler meint: der Absatz, in dem das Wort „Divisionsstärke“ aus einem Artikel des Historikers Gregor Schöllgen aus der FAZ zitiert wird, sei komplett falsch, da in Gansers Buch „NATO-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ das Wort „Divisionsstärke“ nicht vorkomme. Dies habe Fiedler extra überprüft, indem er das Buch digital durchsucht habe. Er hätte das Buch lieber auch mal lesen sollen. Da schreibt Ganser nämlich von „offiziell 17000 Mitgliedern“ in der Tarnorganisation (was in etwa einer Divisionsstärke gleich kommt). Die „Divisionsstärke“ ist kein wörtliches Zitat Gansers, Schöllgen hat das offenbar frei formuliert. Daraus macht Fiedler nun aber einen Hauptmanipulationsvorwurf.

Grotesk ist nun, dass Fiedler wiederum mit Genugtuung die Kritik an Gregor Schöllgen in dessen Wikipedia-Eintrag erwähnt. Also: wenn im Wikipedia-Artikel zu Ganser Kritik an dessen Werk erwähnt wird, ist das Rufmord; Kritik bei einem Ganser-Kritiker ist dann aber genehm und richtig?

Nun beleuchtet Fiedler den Teil des Wiki-Artikels, in dem durch einen Artikel der SonntagsZeitung aus 2006 auf die Distanzierung der ETH Zürich von Ganser hingewiesen wird. In dem Artikel äußert sich Andreas Wenger, Leiter des „Center for Security Studies“ der ETH, er sei strikt gegen Verschwörungstheorien als Erklärungsansätze an seinem Institut. Auch sein Stellvertreter Victor Mauer wird in dem Artikel kurz zitiert. Jener Victor Mauer, den Fiedler nun als „Kronzeugen gegen Ganser“ darstellt, verursachte einige Jahre nach dem Erscheinen dieses Artikels selbst einen kleinen Skandal, als bekannt wurde, dass er eigentlich keinen Doktor-Titel hat. Jedenfalls schlussfolgert Fiedler daraus nun eine private Fehde mit Ganser. Belege dafür, dass dies der eigentliche Grund für die Distanzierung der ETH sei, lässt Fiedler jedoch vermissen. Es bleibt auch unklar, wieso es diese Fehde wegen des Doktor-Schwindels bereits im Jahr 2006 gegeben haben soll, wenn der Skandal erst 2011 aufkam. Auch ist es merkwürdig, warum für Fieder – der sich selbst gern wissenschaftlicher Arbeitsweise rühmt – hier die Verfehlungen von Kritikern so sehr im Vordergrund stehen.

Zur Verwendung des Artikels aus der SonntagsZeitung als Quelle behauptet Fiedler auch, es sei nicht Wikipedia-konform, dass dort ein nicht-digitaler Text als Quelle angegeben wird. Hier beweist Fiedler einmal mehr, wie wenig er wirklich über die Arbeit in der Wikipedia weiß. Natürlich ist es dort vollkommen legitim, Belege aus analogen Quellen (wie bsw. gedruckte Bücher oder Zeitungen) zu verwenden – dort steht ja nun mal ein Großteil des gesammelten Wissens. Fiedler sieht hier aber einmal mehr einen „Trick“, eine „Meinungsmache“, die „nicht mit wissenschaftlichen Daten hinterlegt ist“.

Was folgt, ist ellenlanges Herziehen darüber, wie viele Bearbeitungen Fiedlers Wiki-Erzfeind namens Kopilot pro Tag durchführt, und dass das doch nicht mit rechten Dingen zugehe. Die „Mainstream-Medien“ verschwiegen 9/11-Manipulationen in der Wikipedia. Überhaupt alles ganz schlimm mit der Presse etc. Peer-Groups in der Wikipedia manipulierten gezielt das 9/11-Thema, würden „von außen gesteuert“. Erstklassige Recherchen der „Anstalt“ über die große Atlantikbrücken-Verschwörung kämen nicht in die Wikipedia rein … usw.

Fiedler kritisiert immer wieder die Anonymität der Autoren in der Wikipedia. Als echten Knaller verkündet er, er habe die Identität seines Wiki-Erzfeindes Kopilot ausgemacht (hierzu bedient sich Fiedler der rechtsextremen Seite Metapedia). Das ist nun aber keine wirkliche Schwierigkeit und mit ein wenig Google-Suchen aufgedeckt, da besagter Kopilot aus seiner Person kein großes Geheimnis macht. Im Interview wird auch schnell klar, warum sich Fiedler so sehr für die Identität der Wikipedia-User interessiert. Nicht etwa, um sie direkt zu kontaktieren; nein: es wird Kopilot im Netz nachgespitzelt, evtl. werden gar noch bei KenFM seine Arbeitszeiten mit seiner Wikipedia-Aktivität abgeglichen.

Es ist auch schlicht Unsinn, wenn Fiedler meint, dass sich aufgrund der Anonymität der Schreiber niemand gegen Wikipedia wehren könne. Wikipedia selbst kann ganz normal abgemahnt werden. Dazu muss man gar nicht die Autoren im einzelnen kennen. So erwirkte der Linke-Abgeordnete Lutz Heilmann 2008 gar eine zeitweilige Sperrung der Wikipedia, da ihm nicht genehm war, dass in seinem Artikel auf seine Stasi-Vergangenheit hingewiesen wurde.

Irgendwann kommt man dann noch über Ganser auf die AZK und einen Vortrag von Nazibraut Sylvia Stolz, aus dem Biolehrer Fiedler nun gelernt habe, dass das Verfahren gegen den Holocaustleugner Ernst Zündel ganz ähnlich gelaufen sei wie die Verfahren im Dritten Reich.

Als Biolehrer meint Fiedler schließlich, die Wikipedia müsse doch die Evolutionstheorie und den Kreationismus gleichberechtigt darstellen, so dass der Leser selbst entscheiden könne, was er „glaubt“. Beweisen könne man das ohnehin alles nicht so genau. Von wissenschaftlicher Arbeit, kritischem Rationalismus und Falsifikation hat der Biologielehrer anscheinend noch nichts gehört.

Die Ironie der Geschichte: Ja, im Falle Ganser gab es gezielte Manipulationsversuche in der Wikipedia. Nur anders als Fiedler vermutet, stammen diese Manipulationen von den Ganser-Fans selbst.


Originalbeitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/erik.de.bradley/posts/779222295516859

 

Hinweis: Wer es sich ersparen will, den genannten Film „Die dunkle Seite der Wikipedia“ anzusehen, der kann sich die Beiträge von Nutzer Solifuga bei Allmystery dazu durchlesen: http://www.allmystery.de/themen/gg48762-2385#id15055883

High-Tech in NRW: SPD begeistert von Perpetuum mobile

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Die Ratsherren von Hürth beim Einfangen freier Energie

Die Ratsherren von Hürth beim Einfangen freier Energie

Nein, es ist keine Satire, leider. Stolz verkündete das ehemalige Mitglied des Bundestages und des Landrates im Rhein-Erft-Kreis Klaus Lennartz (SPD), aktuell Ratsherr der Stadt Hürth, ein Leuchtturmprojekt:

Das in Troisdorf entwickelte so genannte kinetische Auftriebskraftwerk arbeitet auf Basis des Archimedischen Prinzips und macht sich, wie schon der Name vermuten lässt, die Auftriebskraft des Wassers zu Nutze. Die Auftriebskraft wird über ein Getriebe in Bewegungsenergie umgewandelt, welche einen Generator antreibt, der als Bremse fungiert und die Bremsenergie in nutzbaren Strom umwandelt. Klaus Lennartz: „Auf diese Weise produzieren diese neuartigen Kraftwerke 24 Stunden am Tag grünen, emissionsfreien Strom, ohne dass fossile Energieträger von außen zugeführt werden müssen.“

Prof. Dr. Michael Droescher, Hartmut Dobler und Klaus Lennartz eröffnen die fünfte, physikreie Jahreszeit.

Prof. Dr. Michael Droescher, Hartmut Dobler und Klaus Lennartz eröffnen die fünfte, physikfreie Jahreszeit.

Herr Lennartz, der anscheinend auch noch dem Seeheimer-Kreis angehört, mag ein honoriger Mann sein, hat sich aber von der Rosch AG und ihrem Auftriebskraftwerk  mit ihrem Perpetuum mobile dermaßen über den Tisch ziehen lassen, dass es an Peinlichkeit kaum zu übertreffen ist. Offenbart dies doch eine völlige Absenz physikalischer Grundbildung und eine Naivität, die kaum zu glauben ist. Wenn einem schon die physikalischen Prinzipien unbekannt sind, nach denen dieser Unsinn nie funktionieren kann, könnte man sich wenigstens vor Absetzen solcher Lobhudeleien informieren. Die Firma Rosch AG mit ihrem auf Phantasietheorien aufgebauten „Geschäftsmodell“ ist seit Jahren im Netz bekannt. Alleine im Forum von Allmystery finden sich aktuell sagenhafte 37.832 Beiträge, in denen der Unsinn bis ins Kleinste zerlegt wird. Sucht man im Netz, zeigen schon die ersten Links – auch für völlige physikalische Laien nachvollziehbar -, warum das nicht funktionieren kann. Das Netz ist voll von berechtigten Warnungen vor diesen physikalischen Großmeistern.

Aber vielleicht sind Leuchttürme in NRW traditionell nach unten gebaut und senden unsichtbares Licht aus.

 

Kein Gewerbeschein für Humbug!

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Wir möchten für eine neue Initiative in Österreich die Trommel rühren:

Wissenschaft als Maßstab – kein Gewerbeschein für Humbug!

In erster Linie fordern wir Aufklärung und Schutz der Konsumenten. Um diesen Schutz zu erwirken werden wir ordentlich an den Türen und Mail-Accounts der Behörden rütteln.
Bei den Personen, die energetische/esoterische „Behandlungen“ in Anspruch nehmen, handelt es sich in der Regel um Patienten die vor Irreführung geschützt werden müssen. Es gibt medizinisch und wissenschaftlich betrachtet keine „energetischen Blockaden“. Hinter diesen Phantasienamen stecken psychische und physische Beschwerden. Geschädigte wissen häufig nicht an wen sie ihre Beschwerden richten können. Wir möchten mit unserer Initiative als Bindeglied zwischen Geschädigten und den zuständigen Anlaufstellen agieren und gemeinsam auch medial auf Missstände aufmerksam machen. Eine einzige Stimme verschafft sich oft nur schwer Gehör. Zusammen sind wir lauter, denn man kann gar nicht laut genug auf den um sich greifenden Humbug aufmerksam machen.

Schaut euch dort mal um, liebe Leser, und wenn es euch taugt: Macht mit!

Und bevor eventuell von deutscher Seite leicht hämische Kommentare kommen: nein, in Deutschland ist es eher noch schlimmer. In Österreich sind Heilpraktiker verboten, in Deutschland genügen absurd niedrige Hürden, um kranke Menschen behandeln zu dürfen. Auf dem HAB (Homöopathisches Heilbuch) prangt der Bundesadler – ein Ergebnis des Binnenkonsenses, der es zulässt, Homöopathen und Anthroposophen, über die Wirksamkeit ihrer „Medikamente“ per Gutdünken zu befinden.

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